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Aus: Ausgabe vom 14.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Männer in Trenchcoats

Nach dem Raketenabsturz: Miia Tervos feministischer Film »Neuigkeiten aus Lappland«
Von André Weikard
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Eben noch eine stolze sowjetische Rakete am Himmel …

Niina (Oona Airola) wollte doch nur einen Weihnachtsbaum. Den schlägt die junge Frau im verschneiten finnischen Wald selbst, wuchtet ihn gar auf einen Anhänger. Aber dann entgleiten ihr die Dinge. Der Anhänger löst sich. Rollt mit Baum an ihr vorbei. Und kracht direkt in das Fenster des örtlichen Käse‑blättchens. Dem Chef der Lappland News (Hannu-Pekka Björkman) wird einigermaßen schnell klar: Die arbeitslose, alleinerziehende Niina wird den Schaden nicht zahlen können. Also soll sie ihn abarbeiten. Immerhin: Gedichte hat sie schon mal geschrieben. »Für eine Pferdezeitung«, sagt Niina kleinlaut.

Wird schon gehen. In Lappland passiert ja sowieso nie was. Der meistgelesene Artikel des Vorjahres handelt von einem Mann, der beim Eisangeln seinen Strumpf verloren hat. Weil die Geschichte im Jahr 1984 spielt, muss Niina sich nun also mit Schreibmaschine und Zettelkästen auseinandersetzen und pilgert mit Schreibblock eifrig über Land.

Und dann passiert doch etwas. Eine sowjetische Rakete stürzt in der finnischen Einöde ab.

»Neuigkeiten aus Lappland« ist ein Trojanisches Pferd. Verpackt als skandinavische Komödie mit skurrilen Gestalten, tumben, aber liebenswerten Provinzlern, gewinnt die Autorenfilmerin Miia Tervo ihr Publikum. Eigentlich schiebt sie ihm aber eine ganz andere, ernste Geschichte unter. Es geht um die Selbstbehauptung einer alleinerziehenden Frau, um das Ziehen von Grenzen. So wie die devote finnische Regierung lernen muss, sich im Kalten Krieg gegenüber den mächtigen Blöcken Gehör zu verschaffen, so muss auch Niina lernen, sich durchzusetzen. Gegenüber ihrer Familie, ihrem Chefredakteur, dem Exmann.

Klar geht’s dabei schräg zu. Papa scheißt den Kassettenrekorder voll, weil Modern Talking läuft. Opa versteckt sich im Keller und markiert den Partisanen. Männer in Trenchcoats und Uniformen checken kurz nach dem Raketenabsturz im örtlichen Hotel ein. Alles skurril. Manchmal kippt die Erzählung ganz und bekommt Slapstick‑einlagen. Niina, die mit einem Piloten anbandelt, plumpst mehrfach in die Rille zwischen den zusammengeschobenen Hotelbetten oder verheddert sich hoffnungslos beim Ausziehen ihres T-Shirts. Im Laufe des Films verlagert sich der Schwerpunkt aber mehr und mehr hin zu Niinas Alltagsproblemen. Es kommt zu richtig bitteren Szenen häuslicher Gewalt.

Nicht alle Zuschauer werden bei dem Genrewechsel mitgehen. Aber jeder muss mit der blonden Frau mitfühlen, die als Reporterin aufblüht, von Telefonzellen aus mit Strahlenexperten telefoniert und Zeugen des Raketenabsturzes aufspürt. Während die ausländischen Journalisten vor Ort sich von ihr die Fernsehnachrichten übersetzen lassen müssen, dringt sie als einzige in der Welt zu einem Geheimnis in den finnischen Wäldern vor.

Miia Tervo hat mit den Mitteln der Komödie einen durch und durch feministischen Film produziert. Nicht jeder der derben Gags über finnische Saunabesucher oder stinkige Fäkalien zündet. Muss er auch nicht. Denn um so stimmiger und intensiver fängt der Film das Drama um Niina ein. Mit einem beinahe stummen, aber nicht weniger eindrücklichen Finale im Eis.

»Neuigkeiten aus Lappland«, Regie: Miia Tervo, Finnland 2023, 110 Min., Kinostart: heute

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