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Aus: Ausgabe vom 14.11.2024, Seite 12 / Thema
Propaganda und Sprache

Einsatz, Operation oder Krieg?

Vorabdruck. Berichterstattung für Kriegstüchtigkeit und die Macht der Sprachregelung
Von Renate Dillmann
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Die menschliche Seite des Militarismus: Bundeswehr wirbt auf BVG

In dieser Woche erscheint im Kölner Verlag Papyrossa »Medien. Macht. Meinung: Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit«. Die Autorin Renate Dillmann untersucht darin das Selbstbild deutscher Leitmedien, den Anspruch, Vermittler sachlicher Information und Korrektiv politischer Macht zu sein. Wie funktioniert das Dreiecksverhältnis Presse, Politik, Publikum? Wie frei und willig ist der Medienkonsum? Wir dokumentieren daraus mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin einen Auszug.(jW)

Namen, Bezeichnungen und Begriffe sind für die Berichterstattung zu einem Thema elementar. Sie stiften Bedeutung und suggerieren Zusammenhänge. Darüber hinaus sorgen sie beim Publikum für Sympathie oder Antipathie und gehen damit deutlich über pure Information hinaus. Im Fall des Kriegs von Russland gegen die Ukraine seit 2022 verwenden sämtliche Artikel, Nachrichtensendungen und Hintergrundberichte dasselbe Wort: Hier handelt es sich um einen Krieg. Das scheint in der deutschen Presse völlig unstrittig und wird meist noch ergänzt um die Adjektive »brutal« und »völkerrechtswidrig«.

Als Synonyme kamen vor: der russische Überfall auf die Ukraine beziehungsweise – die Aussage noch verstärkend – der russische Angriffskrieg. Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg. Der brutale völkerrechtswidrige Angriffskrieg. Auch das Wort »blutig« findet reichlich Verwendung. Die russische Selbstdefinition sah gänzlich anders aus: Russlands Präsident Putin hat das russische Vorhaben »Militärische Spezialoperation« genannt – eine Bezeichnung, die in westlichen Medien lächerlich gemacht und verhöhnt wurde. Eine solche Wortschöpfung stelle eine Verharmlosung der Tatsachen dar, ausgegeben, um das Volk zu beruhigen, hieß es. Das ist in der Tat die verharmlosende Seite am Ausdruck »Militärische Spezialoperation«, den die russische Regierung sicher sehr bewusst gewählt hat. Außer der »beruhigenden« Botschaft an die eigene Bevölkerung hat Präsident Putin auch seinen westlichen Kontrahenten die diplomatische Ansage gemacht, dass Russland nur begrenzte Kriegsziele verfolgen werde: Russische Truppen in diesem Land seien nicht als Auftakt zu einer Eroberung Westeuropas zu werten. Diese Bedeutung der Benennung »Mili­tärische Spezialoperation« wollten allerdings in Deutschland – im Unterschied zu einigen Exgenerälen der Bundeswehr – weder Politik noch Medien herauslesen oder sich gar damit näher auseinandersetzen. Zugleich wurde sofort berichtet, dass in Russland Druck auf die Presse ausgeübt werde. Die russischen Medien durften nicht von »Krieg« reden bzw. schreiben, sondern mussten die vom Kreml vorgegebene Floskel verwenden.

Wechseln wir ins westliche Lager. Wie nennen unsere Journalisten, die ja frei, ohne jegliche staatliche Zensur oder Einflussnahme (Artikel 5, Grundgesetz) berichten, das Auftreten westlicher Armeen in der Welt? Es kann durchaus vorkommen, dass der Begriff »Krieg« verwendet wird – beispielsweise bei der Berichterstattung über den US-geführten Irak-Krieg. Die Kennzeichnung »Angriffskrieg« und die Adjektive »völkerrechtswidrig« oder »brutal« waren in diesen Fällen allerdings höchst selten zu hören oder lesen – obwohl ihre Verwendung sachlich ebenso gerechtfertigt gewesen wäre wie beim russischen Krieg in der Ukraine: Der Irak wurde von den USA angegriffen, und zwar ohne UN-Mandat (das ist die Definition für »völkerrechtswidrig«). Und »brutal« ist jeder Krieg – das liegt in der Natur der Sache.

Geht es um die Bundeswehr, hört man die Bezeichnung »Krieg« kaum einmal. Statt dessen heißen die »Auswärtsspiele« der Bundeswehr notorisch »Einsatz« oder »Mission«. Afghanistan wird immer noch unter diesem Namen geführt – auch auf der Website der Bundeswehr übrigens: »Einsatz 2021 beendet.« Nur zur Erinnerung: In den 20 Jahren dieses »Einsatzes« sind nach konservativer Schätzung 250.000 Tote auf afghanischer Seite angefallen, mindestens ein Drittel dabei Zivilisten. Deutschland war in Kundus an einem Massaker mit annähernd 100 Toten beteiligt. Und die Zählung der Kriegstoten hat erst 2009 begonnen. Vorher haben die westlichen Armeen nur ihre Opfer gezählt. Hinzu kommen an die 6 Millionen Geflüchtete und ein zerstörtes Land. Das also war der Afghanistan-»Einsatz«.

1999 beteiligte sich Deutschland am Jugoslawien-Krieg. In diesem Fall war es laut Regierungserklärung des damaligen Kanzlers Schröder eine »Militäraktion« bzw. eine »humanitäre Friedensintervention«, die die separationswilligen Kosovaren vor einem angeblichen Genozid durch die jugoslawische Regierung beschützen sollte (die offizielle Begründung und ihre legitimatorische Absicht wurde von den WDR-Journalisten Jo Angerer und Mathias Werth in »Es begann mit einer Lüge« thematisiert). Das schloss ein: die Bombardierung Serbiens, die 78 Tage dauerte, und Straßen, Brücken, Kraftwerke, Fabriken (u. a. auch Chemiefabriken mit hochgiftigem Fallout) sowie Städte zerstörte. Das war die »humanitäre Friedensaktion«.

Gewaltcharakter ausblenden

Die von der Politik vorgegebenen Sprachregelungen wurden und werden in aller Regel getreulich nachvollzogen. Nicht etwa die Presse, sondern der deutsche Verteidigungsminister zu Guttenberg hat im Fall Afghanistan ab 2010 die Frage ins Spiel gebracht, ob man angesichts steigender deutscher (!) Opferzahlen nicht allmählich »umgangssprachlich« von einem Krieg sprechen müsse. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Staaten können also sehr verschiedene Namen erhalten. Sie heißen »Mission«, »Einsatz« oder »humanitäre Friedensintervention« – was ihren Gewaltcharakter ausblendet und sie wegen ihrer einwandfreien Zwecksetzung legitimiert. Oder aber sie werden als Militäraktion, als militärische Spezialoperation oder als Präventivschlag bezeichnet und sollen damit als militärisch geboten und in ihrem Ausmaß kontrolliert, bedacht, jedenfalls beschränkt dastehen (auch die USA greifen gerne zum Namen »special operation«). Oder sie werden »Krieg« genannt. Und noch etwas bleibt festzuhalten: Journalisten sind hellsichtig – wenn es um »Feindstaaten« geht. Bei ihnen können sie den propagandistischen Gehalt unschwer identifizieren und kritisieren. Diejenigen, die politisch das Sagen haben, firmieren in den Berichten als »Regierung«. Das gleiche gilt ganz klar für unseren Nachbarn Frankreich, für Großbritannien, für Spanien, für die USA. Eine ganze Reihe von Staaten zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass sie in der Berichterstattung »Regime« sind. Nicht nur Nordkorea, der Iran und Syrien werden regelmäßig mit dem Titel belegt, es finden sich auch Nachrichten über das »Putin-Regime« bzw. das »Regime in Beijing«.

Was das eigentlich sein soll, was genau ein Regime ausmacht, und wann ein Staat keine Regierung hat, sondern ein Regime sei, ist im Einzelfall gar nicht so einfach zu ermitteln. Wahlen per se können jedenfalls nicht das Kriterium sein. Einige der üblichen Verdächtigen, die notorisch so bezeichnet werden – Russland, Syrien, Iran etwa –, veranstalten Wahlen. Und sowohl Putin als auch Assad oder Raisi sind per Wahl in ihre Ämter gekommen oder in ihnen bestätigt worden (Putin etwa Anfang 2024, während Selenskij die im selben Jahr fälligen Wahlen in der Ukraine aussetzte). Es mag sein, dass hiesige Journalisten an diesen Wahlen eine Menge auszusetzen haben. Das allerdings wäre auch zu einigen US-Wahlen zu bemerken (2000, Al Gore gegen George W. Bush). Dass Indien gerne als »größte Demokratie der Welt« bezeichnet wird, erscheint angesichts des offenen und massenhaften Kaufs von Wählerstimmen eine allgemein bekannte Farce. Umgekehrt gibt es Staaten, die nicht einmal ansatzweise Wahlen zulassen, ohne dabei als Regime tituliert zu werden, Saudi-Arabien etwa. Oder es gibt demokratisch gewählte Regierungen, die dem Westen bzw. vor allem seiner Führungsmacht USA nicht passen. Dann kommen die Förderung eines Putsches (Ägypten 2013, Ukraine 2014) oder die Anerkennung eines Präsidenten gegen das offizielle Wahlergebnis (Venezuela 2018, mit neuem Anlauf 2024) in Frage.

»Regime« als Bezeichnung ist also nicht aus einer sachlichen Analyse politischer Herrschaftsformen gewonnen, sondern soll ausdrücken, dass die damit bezeichneten Regierungen aus Sicht der jeweiligen Journalisten und Medien nicht zur Herrschaft legitimiert sind. Eine Begründung bleibt dann oft aus. Zumindest mitgedacht ist allerdings die Aussage, dass die Regierenden in Regimen nicht von ihren Völkern gewollt sind, dass sie daher vermutlich mit Unterdrückung, Repression, diktatorischen oder autoritären Maßnahmen herrschen, und – jedenfalls letztlich, trotz eventuell formell demokratischer Wahlen – »undemokratisch« sind. In diesem Wording steckt im Grunde ein halber Aufruf zur Revolution, zum Umsturz gegen eine aus westlicher Sicht nicht legitime Regierung, wenn und weil diese Staaten westlichem Hegemonialstreben in die Quere kommen.

Stellen wir uns einen bewaffneten Kämpfer vor, sichtbar muslimisch gekleidet – wahlweise auch mit Bart. Wie wird er in den deutschen Medien bezeichnet? Er ist wahrscheinlich mit ganz verschiedenen Zuschreibungen bedacht worden. Es kommt allerdings sehr darauf an, von welchem Zeitpunkt seines Lebens gerade die Rede ist. Als die USA nach 1980 muslimische Fundamentalisten in Afghanistan gegen die Sowjetunion ausrüsteten, galt er als Oppositioneller, Rebell und Freiheitskämpfer. Auch noch, als er auf seiten bosnischer Muslime, die der Westen als eigene Nationalität geadelt hatte, gegen serbische Einheiten kämpfte. Seit die USA nach »9/11«, also ab 2001, den von ihnen selbst finanzierten Sumpf muslimischer Dschihadisten mit ihrem »Krieg gegen den Terror« bekämpft haben, war er Fundamentalist, Dschihadist und Terrorist. Als die USA und ihre Verbündeten dann afghanische Kämpfer für die Armee des unter ihrer Ägide entstandenen »neuen Afghanistans« rekrutierten, wurde er Soldat, und heute ist er vielleicht wieder Taliban, wenn er mitsamt seinen westlichen Waffen zu ihnen übergelaufen ist. Der berühmteste Fall einer solchen wechselhaften Benennung war zweifelsohne Osama bin Laden, der vom gefeierten Widerstandskämpfer zum Hauptfeind der USA avancierte und von einem US-amerikanischen Killerkommando in Pakistan »erledigt« wurde. Vergleichbare Fälle sind in vielen Ländern bzw. weltpolitisch instrumentalisierten Konflikten zu finden. In der russischen Provinz Tschetschenien und der chinesischen Provinz Xinjiang, in den (Bürger-)Kriegen in Libyen und Syrien werden dieselben Kräfte, die im Rahmen des westlichen »Kriegs gegen den Terror« als »radikal-islamische Fundamentalisten« oder gar »Dschihadisten« gebrandmarkt wurden, mit dem zivil und seriös klingenden Begriff »Opposition« bezeichnet.

Je nach Parteinahme

Das Prinzip ist klar. Je nach Parteinahme werden verschiedene Begriffe für ein und dieselbe Sache verwendet, und damit wird in einer scheinbar sachlichen Darstellung Sympathie oder Antipathie transportiert. Vielleicht noch einige Felder, auf denen dieses Phänomen beobachtbar ist:

– Die Medien können von Menschen auf der Straße, Protestierenden gegen die Regierung und Demonstranten berichten oder von gewaltbereiten Chaoten, Randalierern, Störern, Krawallmachern – also so tun, als wollten da Leute ohne jedes Anliegen schlicht Gewalt ausüben, sich prügeln oder Chaos produzieren. Welche Bezeichnung sich durchsetzt, liegt darin begründet, ob die Demonstrationen zu den geltenden und erwünschten politischen Zwecken passen oder nicht.

– Die Medien können es »Informationen der Medien« oder »Propaganda« nennen – es ist klar, was wann der Fall ist: »Russki-Propaganda« – alles, was die Russen erzählen, ist Propaganda, weshalb es auch für die Freunde von Meinungs- und Pressefreiheit völlig legitim war, dass der russische Sender RT deutsch bereits im Herbst 2021 de facto verboten wurde. Umgekehrt kennen »wir« in der seriösen deutschen Öffentlichkeit selbstverständlich keine Propaganda, sondern nur Information. Wer etwas davon grundsätzlich Abweichendes veröffentlicht, nimmt nicht seine Meinungsfreiheit wahr, sondern macht sich der Desinformation schuldig (ein neuer Tatbestand, auf den die EU, der Verfassungsschutz und andere Beobachter aufpassen und den Betroffenen Konsequenzen androhen).

– Die Medien können das Zusammenkommen der beiden deutschen Staaten »Wiedervereinigung« oder »Anschluss« nennen. Der Sache nach stimmt selbstverständlich Anschluss, denn beim Zusammenkommen der beiden Staaten galten sämtliche Prinzipien, Gesetze, Regeln des einen Staats, nämlich die der BRD. Von der DDR wurde nichts übernommen (bis auf den Rechtsabbiegerpfeil und das Ampelmännchen). Offiziell gilt der Vorgang allerdings als »Wiedervereinigung«, weil der Gedanke an die nationale Einheit hochleben soll, der trotz des Systemgegensatzes ganz tief in den Brüdern und Schwestern der beiden Teile, BRD und DDR, fortexistiert haben soll. (In diesem Zusammenhang ist auch an die historischen Leistungen einiger westdeutscher Medien, Springer & Co., zu erinnern, die die DDR über Jahrzehnte nur in Gänsefüßchen geführt oder von der »Ostzone« bzw. »sowjetischen Besatzungszone« geschrieben haben.)

– Am 6. Juni 1944 landeten »die Alliierten« in der Normandie, hieß es anlässlich des 80. Jahrestags dieses Ereignisses in der Tagesschau und anderen Leitmedien. Sie hätten damit »die Befreiung Europas« eingeläutet. In diesem Wording wird deutlich, wie sehr die Berichterstattung der aktuellen politisch-diplomatischen Linie folgt, Russland (bzw. die Sowjetunion) aus der Reihe »der Alliierten« auszuschließen und nicht mehr zu den Gedenkfeiern einzuladen. Richtig hätte es im Bericht natürlich heißen müssen, dass es der D-Day der westlichen Alliierten war. Die »Befreiung Europas« hat nicht am 6. Juni 1944 begonnen (wie behauptet), sondern durch die Siege der Roten Armee vor Moskau (1941/42), in Stalingrad (1942/43), am Kursker Bogen (1943) und durch das Sprengen der Blockade Leningrads (1943/44). Die falschen Bezeichnungen sind Ausdruck davon, wie Politik und Presse gemeinsam die Geschichte umdeuten – passend zur erneuten Feindschaftserklärung gegen Russland.

– Je nach Sympathie oder Antipathie ist die Rede von »Oligarchen« (Abramowitsch) oder »Vorzeigeunternehmern« (Elon Musk, der übrigens erheblich reicher und mächtiger ist).

– »Schleuser« heißen die Leute, die unliebsamen Flüchtenden helfen, die man hier nicht haben will. »Fluchthelfer« waren sie, solange sie Menschen aus von Deutschland nicht anerkannten oder nicht geschätzten Staaten zur Flucht verholfen haben.

– Atomkraft hieß in den deutschen Medien jahrzehntelang »Kernkraft« – eine Sprachregelung, auf die die Lobbyisten der Energiekonzerne viel Wert legten, weil es sich weniger gefährlich anhören sollte. Armin Papperger, der CEO von Rheinmetall, wünscht sich gerade von den Medien, dass sie die tödlichen Spitzenprodukte seiner Firma künftig als »Verteidigungsmaschinen« statt als »Tötungsmaschinen« titulieren.

– Im Fall von Geheimdienst oder Verfassungsschutz gilt unzweifelhaft: Unser Geheimdienst schützt die Verfassung (und heißt deshalb auch so), während Putins Geheimdienst nur der Machterhaltung eines Regimes dient.

Ganze Ideologien

Unabhängig von diesen Wortpaaren, die Parteilichkeit transportieren, gibt es auch singuläre Bezeichnungen, die bereits für sich ganze Ideologien einschließen:

– Der Begriff »Arbeitgeber« etwa enthält die Vorstellung, dass es deren Funktion sei, »Arbeit zu geben«, sprich: die Arbeitsplätze für die darauf angewiesenen »Arbeitnehmer« zu schaffen. Das ist falsch, weil es den tatsächlichen Zweck beim »Arbeit geben« unter den Tisch fallen lässt: Arbeitsplätze werden nur unter der Bedingung eingerichtet, dass diejenigen, die tatsächlich ihre Arbeit geben, den Reichtum des Chefs, des Unternehmens etc. mehren.

– Die Rede von den Hilfsgeldern – häufig verwendet im Zuge der Griechenlandkrise – tat so, als würden dem betreffenden Land Gelder aus dem »Rettungsschirm« (ebenfalls ein bemerkenswerter Begriff) zur Verfügung gestellt, um ihm über die gröbsten Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. Der Sache nach waren es Kredite, Gelder also, die dem Land geliehen wurden. Und sie dienten ihm dazu, seinen Schuldendienst samt Zinszahlungen gegenüber den deutschen und französischen Banken aufrechtzuerhalten – und eben nicht dazu, der griechischen Bevölkerung in ihrer Not angesichts des ökonomischen Zusammenbruchs zu helfen. Noch heute ist Griechenland massiv verschuldet und muss diese Hilfsgelder in Raten zurückzahlen.

– »Grenzschutzagentur« ist eine verharmlosende Bezeichnung für Frontex, das die Festung Europa mit der tödlichen Abwehr von Flüchtenden organisiert.

– Der Begriff »Kollateralschaden« wurde von der NATO in ihrem Krieg gegen Jugoslawien populär gemacht – mit der Botschaft, dass tote Zivilisten beim Feind kein grundsätzlicher Einwand gegen den Krieg sein können. Er wurde übrigens – so viel »Pluralismus« muss sein – in Deutschland 1999 zum »Unwort des Jahres« erklärt.

»Wirtschaftsflüchtling« bestreitet dem Flüchtenden die existenzielle Not als Fluchtgrund, weil er ja nur aus einer ökonomischen Berechnung heraus sein Land verlassen habe (was asylrechtlich kein anerkannter Grund ist).

»Umstritten«

Auch die Verwendung von Metaphern und Adjektiven transportiert auf mehr oder weniger subtile Art und Weise Wertungen. »Flüchtlingswelle« bzw. »Asylantenflut« beschwören negative Assoziationen schlimmer Naturkatastrophen herauf, die »über ›uns‹ hereinbrechen«. »Wachstumsschwäche« imaginiert die Resultate der Konkurrenz privater Unternehmer und Staaten als eine Art Krankheit des nationalen Wirtschaftskörpers. Das Bild von der »sozialen Hängematte« stellt die existentielle Abhängigkeit eines Teils der lohnabhängigen Bevölkerung von Transferleistungen als erstrebenswerte Situation sorgloser Gemütlichkeit dar – Transferleistungen übrigens, die, soweit es die Sozialversicherungen betrifft, von den Lohnabhängigen selbst finanziert und durch Lohnabstandsgebot und sozialstaatliche Aufsicht so kleinlich und schikanös wie nur möglich gestaltet werden.

Vom »brutalen Angriffskrieg« war bereits die Rede – ebenso davon, dass dieses Adjektiv für die Kriege von Staaten reserviert ist, die nicht zu den Freunden gezählt werden. Dass etwa Israels »Verteidigungskrieg« mit zehntausenden Toten und einem in Trümmern liegenden Gaza in den deutschen Medien als »brutal« bezeichnet wird, ist nicht zu erwarten. Dafür sind Islamisten stets auch noch »radikal« – damit auch niemand die Botschaft verpasst!

Mit dem Adjektiv »umstritten« werden Positionen und Personen intellektuell erledigt, ohne dass Argumente oder Gegenargumente, Inhalte und Kritik bzw. die Kritiker, die etwas »bestreiten«, überhaupt vorkommen müssen. Der Hinweis auf die »umstrittene Journalistin x« oder den »umstrittenen Politiker y« reicht völlig aus, damit das Publikum weiß, wen es zukünftig nicht mehr schätzen darf, ernstzunehmen hat, und wer zu Recht dem Missfallen und weiteren praktischen Konsequenzen anheimfällt.

Die Beispiele zeigen: Schon in die puren Namen, die Benennungen, die Begriffe wie die verwendeten Adjektive und Metaphern fließen jede Menge Beurteilungen und Wertungen ein. Was als Wording der Regierung, des Militärs, der Unternehmen in ihren Pressemitteilungen und Hintergrundgesprächen vorgegeben ist, wird von Medien vielfach distanzlos übernommen. Sie übermitteln damit die »Sprachregelungen« an ihr Publikum, sprich: die aktuellen ökonomischen, politischen, nationalen Ideologien und Feindbildvorstellungen. Es bleibt die Frage, ob »Wörter manipulieren können«. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die deutschen Mainstreammedien es darauf anzulegen scheinen. Die stetige Wiederholung festigt den Anschein von Objektivität.

Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit, Köln: ­Papyrossa 2024, 239 Seiten, 17.90 Euro

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