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Aus: Ausgabe vom 14.11.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
»Neom«

Vorwürfe gegen Megaprojekt

Saudi-Arabien: Bericht spricht von Zehntausenden toten Arbeitern auf Prestigebaustelle für neue Stadt des Königreichs
Von Jörg Kronauer
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Rund 21.000 Arbeiter sollen auf der Prestigebaustelle für »Neom« bereits zu Tode gekommen sein

Es soll Saudi-Arabiens Vorzeigeprojekt schlechthin werden, riesig, irrsinnig teuer, auf modernster Technologie basierend und bei alledem CO2-neutral: »Neom«, eine völlig neu aus dem Boden gestampfte Großstadt im abgelegenen Nordwesten des Landes, nicht weit entfernt vom Roten Meer. Sie ist das vielleicht bedeutendste Element von »Saudi Vision 2030«, einem Strategiepapier aus dem Jahr 2016, das den Umbau Saudi-Arabiens vom verkrusteten Erdölstaat in ein industriell breit aufgestelltes, modernes und mächtiges Land skizziert.

»Neom« ist das teuerste Teilprojekt. Die Stadt soll nur erneuerbare Energien nutzen; ein Hightechindustriegebiet ist geplant; in erreichbarer Nähe wird in einem Gebirge in einer Höhe von bis zu 2.600 Metern ein – auf Kunstschnee basierendes – Wintersportgebiet errichtet. Gut 500 Milliarden US-Dollar sind für das Hochglanzprojekt vorgesehen. Eine erste Luxusinsel, Sindalah Island, mit teuren Hotels, Jachthafen und Golfplatz, eröffnete im Oktober.

»Neom«, gern als die größte Baustelle der Welt bezeichnet – das Projektgebiet erstreckt sich über eine Fläche, die etwas größer ist als Hessen –, könnte sich nun allerdings zum Zentrum eines Skandals entwickeln, der mit einer am 27. Oktober ausgestrahlten ITV-Dokumentation begonnen hat. Man weiß, dass deutlich mehr als 100.000 Arbeiter in der saudischen Wüste schuften, weit entfernt von jedem größeren Ort: Da »Neom« auch mit einem gewissen sozialen Wandel verbunden wird, haben die saudischen Planer die Stadt möglichst weit entfernt von den traditionellen Zentren des Landes angesiedelt, von der Hauptstadt Riad, der Hafenstadt Dschidda und schon gar den heiligen Stätten Mekka und Medina.

ITV berichtete nun, seit 2016 seien bei Arbeiten an den diversen Projekten von »Saudi Vision 2030«, und insbesondere bei den Arbeiten an »Neom«, rund 21.000 Arbeiter zu Tode gekommen, die allermeisten aus Südasien, vorwiegend Männer aus Indien, Bangladesch und Nepal. Betroffen sind demnach auch Baustellen für die Fußball-WM 2034, über deren Austragung die FIFA im Dezember entscheidet.

Saudische Stellen streiten die Vorwürfe selbstverständlich rundweg ab, was auch sonst. Nun sind die arabischen Golfstaaten allgemein für miserable Arbeitsbedingungen und für einen oft verächtlichen Umgang mit südasiatischen Wanderarbeitern bekannt. Katar, man erinnert sich, geriet deshalb vor der Fußball-WM 2022 weltweit in die Schlagzeilen; die Zahl der Arbeiter, die auf den Baustellen für das Sportgroßevent zu Tode kamen, wurde auf mehr als 6.500 geschätzt. Trifft die Zahl 21.000 für Saudi-Arabien zu, dann kämen täglich mehr als sieben Arbeiter auf saudischen Baustellen ums Leben.

Verwundern würde es nicht, und das nicht nur wegen der allgemeinen Arbeitsbedingungen in Saudi-Arabien. Im September berichtete das Wall Street Journal ausführlich über die konkreten Verhältnisse beim Vorzeigeprojekt »Neom«. Dort war etwas mehr als ein Jahr nach Projektbeginn der Gründungsvorsitzende, Ex-Siemens-Manager Klaus Kleinfeld, durch Nadhmi Al-Nasr ersetzt worden, einen einstigen Manager des Erdölkonzerns Saudi Aramco. Dessen Führungsstil wird selbst in Wirtschaftskreisen als überaus rücksichtslos beschrieben: »Ich treibe alle wie Sklaven an«, soll Al-Nasr einmal geprahlt haben.

Auch das sonstige Management liefere nahezu am laufenden Band Musterbeispiele für »schlechtes Benehmen«, formulierte das Wall Street Journal. Da gebe es etwa den Australier Wayne Borg, der die »Neom«-Medienabteilung leite. Eines Abends zu einem Treffen einbestellt, weil wieder drei Arbeiter ums Leben gekommen seien – erschlagen von einem herabfallenden Rohr und einer einstürzenden Wand –, habe er gewettert, Südasiaten seien »verdammte Idioten«; es gebe schon einen Grund dafür, dass »Weiße an der Spitze der Hackordnung« stünden.

Der mittlerweile entlassene Borg habe reihenweise rassistische, sexistische und andere diskriminierende Beschimpfungen von sich gegeben – und nicht nur er. Auch Al-Nasr wurde, wie am Dienstag bekannt wurde, vor Kurzem gekündigt. Beobachter schreiben dies allerdings eher der Tatsache zu, dass sich »Neom« verspäte und viel teurer ausfalle als geplant. An den Berichten über viele getötete Arbeiter liegt es wohl nicht.

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