Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Donnerstag, 19. Dezember 2024, Nr. 296
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 15.11.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Deutsche Kolonialgeschichte

»Symptomatisch für den Pushback gegen koloniale Aufarbeitung«

140 Jahre Berliner Afrikakonferenz für Bundesregierung kein erinnerungspolitisches Ereignis. Ein Gespräch mit Jürgen Zimmerer
Interview: Ina Sembdner
imago756093821.jpg
Rote Farbe, wem sie gebührt: Bismarck-Denkmal in Hamburg-Altona

Sie sind Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg und leiten die Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe. An diesem Freitag jährt sich die sogenannte Kongokonferenz zum 140. Mal. Wie bewerten Sie das politische Interesse an diesem Datum?

Die Kongo- oder Afrikakonferenz ist wahrscheinlich die weltgeschichtlich bedeutsamste, die jemals auf deutschem Boden stattgefunden hat. Die Potsdamer Konferenz war wichtig nach dem Zweiten Weltkrieg, aber global hatte sie geringere Auswirkungen als die Afrikakonferenz, bei der im Grunde die Aufteilung Afrikas festgezurrt wurde – mit Staatsgrenzen, die bis heute eine Hypothek darstellen. Und angesichts der Größe, der Bedeutung und der Tatsache, dass sich die Ampel in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat, das koloniale Erbe aufzuarbeiten, finde ich es sehr überraschend, dass quasi keine große Veranstaltung, keine große Rede geplant ist und auch nicht vor dem Bruch der Ampel geplant war. Das finde ich sehr überraschend und symptomatisch für den Pushback gegen koloniale Aufarbeitung, wie wir ihn im Moment erleben.

Ich nehme an, dass Sie das mit Ihrer Forschungsstelle anders würdigen. Was ist geplant?

Ja, wir haben am Mittwoch abend mit einer dreitägigen Abschlusstagung zur Afrikakonferenz begonnen und widmen uns dabei auch Bismarcks Rolle darin. Es gibt eigentlich gleich mehrere Jahrestage: 140 Jahre Afrikakonferenz, vor 120 Jahren begann der Genozid an den Herero und Nama, und es ist zehn Jahre her, dass diese Forschungsstelle eingerichtet wurde. Und man muss jetzt leider sagen, es ist auch das letzte Jahr, in dem es sie voraussichtlich geben wird, so dass wir gesagt haben, wir bündeln das einfach. Den Genozid hätte es so nicht gegeben ohne die Afrikakonferenz und die Entscheidung, dass Deutschland Kolonialreich wird.

Warum wird die Forschungsstelle abgewickelt?

Das kann ich Ihnen gar nicht genau sagen, weil die Bürgerschaft in Hamburg eigentlich vor zwei Jahren gesagt hatte, sie finanzieren uns, um eine Verstetigung dieser in Europa einzigartigen Forschungsstelle vorzubereiten. Aber es gab schwere Angriffe der AfD gegen uns und meine Person. Das war im April und im Juli wurde dann plötzlich beschlossen, dass die Forschungsstelle nicht mehr weiter gefördert wird, dass wir noch ein Übergangsgeld bekommen, Beerdigungsgeld sozusagen. Und dann soll die Forschung an die Universität verlagert werden. Die Hamburger Universität ist als Kolonialinstitut entstanden, deshalb ist jedes Engagement der Universität absolut zu begrüßen. Aber es ist ein fatales Zeichen in der jetzigen Zeit, dass man im Grunde AfD-Politik vorwegnimmt. Letztendlich stehen zwei Konflikte dahinter. Der eine ist, dass die Regierung Hamburgs, Grüne und SPD, vor allem die grüne Wissenschaftssenatorin, der Meinung ist, die wissenschaftliche Aufarbeitung des Kolonialismus sei keine hoheitliche Aufgabe. Ich bin der Meinung, die Aufarbeitung der Geschichte von Rassismus, Gewalt, Genozid etc. ist eine staatliche Aufgabe. Und der zweite ist, dass sich die Forschungsstelle ganz bewusst sehr stark in innerstädtische Debatten eingemischt hat.

Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass an einem Stück des Hamburger Hafens, dem Baakenhafen, der die logistische Drehscheibe für den Genozid an den Herero und Nama war und wo 90 Prozent der deutschen Soldaten abfuhren und ankamen, ein Neubaugebiet mit Luxuswohnungen hinkommt. Dagegen haben wir offiziell Einspruch eingelegt, wir fordern dort auch einen Erinnerungsort und ein Lern- und Dokumentationszentrum für Kolonialismus und kolonialen Völkermord. Das kommt offenbar in der Politik nicht gut an, dass sich die Wissenschaft aufgrund ihrer Erkenntnisse in politische Diskurse einmischt.

In Hamburg gab es auch eine große Debatte um die Restaurierung des Denkmals von Bismarck in der Stadt und wie das kontextualisiert wird. Wofür haben Sie in diesem Zusammenhang plädiert und was ist am Ende dabei herausgekommen?

Es handelt sich dabei um ein riesiges Bismarckdenkmal, es steht auch noch auf einem Hügel und es ist ein Kolonialdenkmal – es wurde von den Hamburger Kaufleuten gestiftet als Dank an Bismarck für die Reichseinigung, aber vor allem für die Kolonialreichsgründung von der Hamburger Kaufleute extrem profitiert haben. Ich war der Meinung, dass man es am besten kontrolliert verfallen lässt, um zu zeigen, das wurde vor 100 Jahren errichtet, die Zeit entwickelt sich weiter und man lässt es verfallen. Statt dessen hat die Politik mit Bundesmitteln diesen Bismarck für zehn Millionen Euro restauriert, ohne ein erinnerungspolitisches Konzept vorzulegen. Es wurde ein Künstlerwettbewerb ausgeschrieben, der aber vorsah, man dürfe an dieser Statue nichts anbringen und nichts verändern. Und deshalb hat die Jury, in der neben mir sehr unterschiedliche Leute saßen, von konservativ bis linksliberal, einstimmig keinen Preis vergeben –, um zu dokumentieren, das geht so nicht. Mit dem Ergebnis, dass er jetzt unkommentiert, aber herausgeputzt rumsteht. Auch das war ein Beispiel der Einmischung in den öffentlichen Diskurs, das nicht so wohlgelitten war.

Was müsste eigentlich unternommen werden, um die Kolonialgeschichte hierzulande adäquat aufzuarbeiten und ins Bewusstsein zu rücken? Und wie sieht es mit dem Dialog zu den ehemaligen Kolonien aus?

Ich glaube, wir müssen uns erinnerungspolitisch darüber unterhalten. Und das muss in einem breiten partizipativen Prozess geschehen. Aus wissenschaftlicher Perspektive brauchen wir eine Bundesstiftung und ein Forschungszentrum für den Kolonialismus und eben auch ein Dokumentationszentrum, wie wir es für den Baakenhafen vorgeschlagen hatten. Die Kolleginnen und Kollegen aus Tansania, Namibia, Kamerun oder Togo, die haben auch Ideen, wie man das machen könnte, aber das Geld dafür nicht. Und es gibt keine Plattform, über die der Austausch mit Leuten, die eine mit uns verbundene Geschichte haben, möglich ist. Auch das wäre notwendig. Das hätte man jetzt alles auch in Hamburg mit aufbauen können. Statt dessen macht man es platt.

Jürgen Zimmerer ist Historiker und Afrikawissenschaftler. Seit 2014 leitet er die Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe an der Universität Hamburg

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • »Gerechtigkeit kann nicht warten«: Gedenkmarsch am 28. August in...
    15.11.2024

    Kongokonferenz interessiert nicht

    140 Jahre nach der in Berlin vollzogenen kolonialen Aufteilung Afrikas ist erinnerungspolitisch von der Bundesregierung nichts zu erwarten
  • Erst kamen die Kaufleute, dann Vertreter des Kaiserreichs. Bei d...
    30.01.2021

    Kapitale Unterwerfung

    Von der Kooperation zur Ausplünderung. Wie etablierte afrikanische Kaufleute in der deutschen Kolonie Kamerun ausgeschaltet wurden
  • Zähe Tätigkeit. Arbeiter auf der weltweit größten Kautschukplant...
    02.12.2020

    Mit Blut und Eisen zum Gummi

    Bis heute ein »kritischer Rohstoff« und für die Automobilindustrie unverzichtbar. Zur Kolonialgeschichte des Kautschuks

Mehr aus: Schwerpunkt