Keine Notlage bei Gasversorgung
Von David MaiwaldDas »Deutschland-Tempo« war potentiell gesetzwidrig, aber definitiv umweltschädlich. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sollte am Donnerstag eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) verhandeln, die sich gegen den Betrieb des Landeschiffs »Neptune« für Flüssigerdgas (LNG) in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern richtet. Die Bundesregierung hatte den Betrieb der Anlage und die dazu nötige Infrastruktur seinerzeit im »Deutschland-Tempo« an gewöhnlichen Genehmigungsverfahren und Umweltprüfungen vorbei durchgeboxt. Die Deutsche Umwelthilfe gehe gegen den Terminalbetrieb nun mit einer »Liste von Punkten« vor, wie DUH-Sprecherin Milena Pressentin am Donnerstag nach Abschluss der Verhandlung gegenüber junge Welt erklärte. Ein Urteil wurde erst nach Redaktionsschluss verkündet.
Der Betrieb habe nicht nur drastische Folgen für Klima und Umwelt, bemerkte die DUH. Auch der Shuttleverkehr durch niedrig gelagerte Schiffe sei in der ohnehin fragwürdigen Genehmigung der Regierung nicht berücksichtigt. Dieser war notwendig, um das Landeterminal »Neptune« mit LNG zu beliefern, das dort dann erwärmt und wieder für den Weitertransport gasförmig gemacht wurde. Der Greifswalder Bodden sei durch den Betrieb dieser Shuttleschiffe deutlich gefährdet, wendet die Umwelthilfe ein. Zudem habe die ursprüngliche Begründung der Regierung, für Versorgungssicherheit sorgen zu müssen, keine Grundlage, erklärte Pressentin: Eine solche »Gasmangellage« war nie eingetreten.
»Das hat das Robert Habeck als Leiter des Wirtschaftsministeriums sogar selbst erklärt«, ärgerte sich die DUH-Sprecherin im jW-Gespräch. Warum die Regierung das Ganze dennoch durchgebracht habe? »Das ist ja der Punkt, das fragen wir uns auch!« so Pressentin. Bereits zu Planungsbeginn habe festgestanden, dass höchstens zwei Terminals notwendig wären, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. »Aktuell sind von der Regierung aber neun Terminals geplant: ein wirtschaftliches Desaster.« Die Auslastung der Terminals dürfte bei einem Betrieb aller Landestellen sehr gering ausfallen, die Schäden für das umgebende Gebiet aber enorm hoch sein.
Die Umwelthilfe stützt sich bei ihrer Einschätzung sogar auf Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums. »Und die beweisen, dass drastische Überkapazitäten erzeugt werden«, fasste Pressentin zusammen. Während das Terminal den Lubminer Industriehafen mittlerweile verlassen und in Mukran vor Rügen haltgemacht hat, plant die DUH auch dort eine Klage gegen das Spezialschiff wegen befürchteter Umweltschäden. Sollte das Verfahren gegen »Neptune« in Lubmin im letztinstanzlichen Verfahren scheitern, könnte das rücksichtslose Vorpreschen bei der LNG-Infrastruktur dort juristisch weiter angefochten werden.
Ohnehin haben schon Exportbewegungen an deutschen LNG-Terminals bewiesen, dass die so häufig beschworene Gasmangellage nie ernsthaft Bestand hatte. So klagte die DUH bereits gegen den Terminalbetreiber Deutsche Regas in Mukran, nicht nur Flüssiggas angelandet, sondern auch umgeschlagen und nach Schweden weiterverkauft worden sein. Die Deutsche Regas wiederum entgegnete Ende September gegenüber dem NDR, so etwas sei von vornherein geplant gewesen. Dem widerspricht nicht nur die Umwelthilfe, sondern auch das zuständige Umweltministerium von Mecklenburg-Vorpommern, das klarmachte, es sei immer nur die Regasifizierung und Einspeisung des LNG ins Gasnetz genehmigt worden.
Erst vergangene Woche hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärt, das russische LNG in der EU solle doch durch mehr Importe aus den USA ersetzt werden. Am Donnerstag zitierte die Financial Times aus einem Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums an den Terminalbetreiber Deutsche Energy Terminal im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel: Zum Schutz »übergeordneter öffentlicher Interessen« des Landes habe das Unternehmen »keine Lieferungen von russischem LNG anzunehmen«, hieß es da. Werde das dortige Terminal eine zuvor gemeldete Lieferung aus Russland annehmen, laufe es »seinem eigentlichen Grund zuwider, Deutschland und die EU als Ganzes ›unabhängig von russischem Gas‹ zu machen«, zitierte die Financial Times. Sanktionen gegen Erdgas aus Russland bestehen indes weder in der BRD noch in der EU: Klar, wozu das »Deutschland-Tempo« gedacht war.
Hinweis vom 17.11.2024: Gegenüber der ursprünglichen Version des Textes wurden geringfügige Spezifizierungen vorgenommen. (jW)
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