Unendlicher Atommüll
Von Luc Śkaille, BeaudignecourtKein »Widerstandsnest Metzingen«, keine »Rallye Monte Göhrde«, keine »Landmaschinenausstellung«, die die wendischen Bundesstraßen kappt: Wenn der allerletzte Castor-Transport aus dem Rücknahmeabkommen zwischen Frankreich und der BRD um den 20. November La Hague in Richtung Philippsburg bei Karlsruhe verlässt, wird der Widerstand überschaubar sein. Doch eine transnationale Bewegung gegen die Atomindustrie – wohlbemerkt unter Einbußen einstiger Mobilisierungsfähigkeit – bleibt sichtbar. Während der zaghafte Ausstieg Deutschlands aus der zivilen Vermarktung von Atomstrom und das Gorleben-Aus die hiesige Bewegung weitgehend befriedet hat, wächst der Bedarf an Widerstand gegen Frankreichs geplante »Atomrenaissance«. Nach einer größeren Demonstration in Rouen im Oktober und den anhaltenden Auseinandersetzungen um Enteignungsverfahren am geplanten Endlager in Bure richten sich besorgte Blicke auf den kommenden »Castor«.
Atommülltransporte sind besonders im Osten Frankreichs ein traumatisches Thema. Der Transport, der Mitte kommender Woche die Plutoniumfabrik in La Hague verlassen soll, könnte erneut auf derselben Strecke verkehren, auf der der achte Castor-Transport nach Gorleben am Sonntag nachmittag des 7. November 2004 den jungen Antiatomaktivisten Sébastien Briat erfasste. Der 20. Jahrestag des tragischen Unfalls, der den französischen Atomkraftgegner das Leben kostete, war dieser Tage Gegenstand zahlreicher Gedenkveranstaltungen. Einem Aufruf zu dezentralen Aktionen anlässlich des Todestags des damals 22jährigen folgten etliche transnationale Umweltbewegungen.
Neben Kundgebungen in Bar-le-Duc, Lüneburg oder Hitzacker gab es Sachbeschädigungen an Infrastruktur von Atomtechnikern und Rüstungsindustriellen, etwa in Bremen, Toulouse, Ambérieu oder Grenoble. Ein herausragender Beitrag zum Gedenken an Sébastien Briat wurde im Kontext des Widerstands gegen das Endlagerprojekt Cigeo in Lothringen umgesetzt. Unbekannte errichteten – offenbar über neblige Nächte hinweg – eine tonnenschwere Mauer auf der Zugtrasse zum geplanten Atommüllendlager, verziert mit einer Gedenkinschrift für den verstorbenen Mitstreiter. Laut der Erklärung der Maurermeister von Beaudignecourt »schließt sich das Kapitel des Widerstands gegen die Castor-Transporte leise«.
Mit den Gedenkaktionen des 7. November hat es die Bewegung trotz schwieriger Konjunktur geschafft, ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Briats Tod und der imminente Atommülltransport nach Philippsburg sollten einen neuen Blick auf die Entwicklungen in der Atompolitik ermöglichen. Brisantester Standort bleibt Frankreich, doch die Konsequenzen der dortigen Atompolitik kennen keine Grenzen. Besonders am Fluss Maas dürfte sich dieser Konflikt im kommenden Jahr zuspitzen. Die Endlageragentur Andra führt aktuell die Enteignung Hunderter Flächen durch und will nach letzten Untersuchungen möglichst bald mit der Errichtung einer über 30 Kilometer langen Atomzugtrasse beginnen. Das größte Atomklo der Welt, unweit der deutschen Grenze, soll rund 85.000 Kubikmeter hochradioaktiven Müll in 500 Meter tiefen Tonformationen beherbergen. Über 130 Jahre lang soll der Bau dauern und für den bis dato produzierten Abfall reichen.
Im Weg des Vorhabens stehen nicht nur ein bald 30jähriger Widerstand, demontierte Gleise und eine neue Barrikade aus Beton. Das aus der Gegend stammende Umfeld von Sébastien Briat engagierte sich schon damals gegen das drohende Endlager. Mit dem Erwerb des ehemaligen Bahnhofs von Luméville entstand ein weiterer, nun zu enteignender Widerstandsraum auf der geplanten Castor-Trasse. Genau an dieser Stelle materialisieren sich schon heute weitere Blockaden gegen den Atomstaat. Die Antiatombewegung errichtet hier aktuell ein Hüttendorf und Dutzende Barrikaden gegen die geplanten Todeszüge nach Bure. Der »Abtretungsbescheid« könnte in den kommenden Monaten die Phase der Besetzung einleiten. Bewohnende rufen zur Verteidigung des Standortes »La Gare« auf, der zusehends einer »ZAD« (französisch für Verteidigungszone) gleicht.
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