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Aus: Ausgabe vom 15.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Grazie und Grenzen des Geschlechtertauschs

Voraussetzungen der Freiheit: Die 17. Peter-Hacks-Tagung widmete sich »Omphale«
Von Kai Köhler
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»Muss selbst die Lust der Frau ich fühlen, kurz, / Frau sein, um Mann zu sein. Mach mir die Haare.« (Omphale und Herkules nach Édouard Joseph Dantan)

Tagungen mit einem weit angelegten Thema ziehen viele Interessenten an, solche mit einem eng definierten Gegenstand ermöglichen eine intensivere Arbeit. Die Peter-Hacks-Gesellschaft konzentrierte sich auf ihrer mittlerweile 17. Tagung am vorigen Sonnabend erstmals auf ein Werk, nämlich »Omphale«. Dieser Satz enthält freilich bereits eine Ungenauigkeit. Tatsächlich schrieb Hacks 1969 – vermutlich parallel – an einem Opernlibretto, das später von Siegfried Matthus vertont wurde, und an einer Version fürs Sprechtheater. Das machte gerade »Omphale« als Thema der Tagung besonders geeignet. Es gibt Ansatzpunkte für ganz unterschiedliche Fragen, etwa die, wie Hacks einen Stoff mit nahezu identischer Handlungsführung für unterschiedliche Gattungen ausarbeitete.

Doch auch sonst führt die Geschichte der antiken Königin und des Halbgottes Herakles auf verschiedene Problemstellungen. Der Heros ist für seine Taten berühmt; zumal Ungeheuer pflegen eine Begegnung mit ihm nicht zu überleben. Wenn Herakles bei Hacks das erste Mal die Bühne betritt, hat er gerade den Löwen von Tmolos erledigt, das vorletzte der Monstren, unter denen Omphales Reich leidet. Allerdings will er so nicht weitermachen. Mit jedem erlegten Untier werde er immer deutlicher er selbst: »Mit jedem Keulenschlag / Erschlag ich eine Möglichkeit in mir.« Statt als Gewaltspezialist zu verkümmern, will er sich allseitig entfalten. Zusammen mit Omphale unternimmt er einen Tausch der Geschlechterrollen. Er schminkt sich, zieht Frauenkleidung an und macht sich an die Spinnarbeit. Omphale hingegen nimmt die Keule in die Hand, die den Berufsstand der Heroen kennzeichnet, und geht auf die Jagd.

Die Sache erweist sich als undurchführbar: Noch gibt es Ungeheuer, insbesondere den menschenfressenden Lityerses. Vor dem freien Spiel mit Möglichkeiten gilt es, für dieses überhaupt erst die Voraussetzungen zu schaffen. Herakles muss Herakles bleiben, und es gilt allein der Sieg. »Enträtst du aller Sittlichkeit des Kämpfens?« protestiert der in die Enge getriebene Lityerses, und Herakles erwidert: »Des Kampfes Sittlichkeit ist, man gewinnt.« Wenn der Held auch am Ende seine Keule in die Erde steckt, auf dass aus der Waffe ein Ölbaum sprieße – klar ist, dass es in der Gegenwart von 1969 noch Ungeheuer gab. Das gilt auch für unsere Zeit.

Dessen ungeachtet bietet sowohl das politische Konzept als auch der damit verbundene Geschlechterrollentausch reichlich Anlass für Auseinandersetzung. Heinz Hamm hatte nicht nur Hacks’ Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach aufgesucht und berichtete über die Entstehung von Drama und Oper. Er hob auch hervor, dass bei Hacks das biologische Geschlecht stabil bleibt – Omphale gebiert am Ende Kinder – und dass die Utopie im Verlauf der Handlung relativiert wird. Lukas Meisner hingegen sah Anknüpfungspunkte für eine emanzipatorische Linke in jenen Partien des Dramas, in denen Dichotomien aufgelöst werden. Ihn interessierte nicht, was Hacks als notwendige Realpolitik in ein Spannungsverhältnis zum Utopischen setzte. Vielmehr zeigte er, wie einzelne Passagen zu einer Genderpolitik passen, die er aus ihrer neoliberalen Vereinnahmung lösen möchte.

Hacks war nicht der einzige, der die Idee des Geschlechtertauschs – oder zumindest eines Rollentauschs – literarisch durchspielte. Marie Hewelt verwies auf Edith Andersons kürzlich wiederaufgelegte Sammlung »Blitz aus heiterm Himmel« von 1975 und verglich Hacks’ Werk mit einer Episode aus Irmtraud Morgners Roman »Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz«. Ruben Luckardt stellte »Omphale« in den Zusammenhang zeitlich naher Herakles-Texte: »Hundsprozess« und »Zwischenspiel in Herakles« von Hartmut Lange sowie »Herakles 5« von Heiner Müller.

Der Nachmittag der Tagung war vor allem der Opernversion gewidmet. Albrecht von Massow zeigte exemplarisch anhand einzelner Szenen, wie Matthus den Text von Hacks komponierte. Er ordnete das Werk in eine sozialistische Traditionslinie der Hochkultur ein und äußerte sich skeptisch, was vom früher einmal Erreichten mit dem heutigen Bildungsstand aufgenommen werden kann. Olaf Brühl belegte die besonderen Qualitäten des Librettos und verwies auf das Emanzipatorische der Geschlechterpolitik in der DDR, die den Hintergrund der Werkgruppe bildet. Zugleich verdeutlichte er die Vielzahl von Kriegen 1969 und die Notwendigkeit von Herakles’ Entschluss, Held zu bleiben. Auch skizzierte er die Zusammenarbeit zwischen Hacks und Matthus.

Die Tagungsbeiträge werden im Hacks-Jahrbuch 2025 erscheinen. Marie Hewelt und Ruben Luckardt haben rechtzeitig eine preisgünstige kommentierte Ausgabe von Drama und Libretto im Aurora-Verlag herausgegeben, ergänzt durch damit zusammenhängende Texte von Hacks und ein Nachwort.

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