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Aus: Ausgabe vom 15.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Ballett

Tod des Flamingos

Im Staatsballett Berlin dachte man über Tanz und Natur nach
Von Gisela Sonnenburg
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Wenn das kein Schwan ist

Es macht nachdenklich, wenn ein wichtiger Beitrag aus dem Publikum kommt. Wie Dienstag abend beim »Forum« des Staatsballetts Berlin. Man ging der Frage nach: »Zwischen Tanz und Natur: Wieviel Natur steckt im Ballett?« Ein Zuschauer erklärte, warum ihm das Werk eines choreographierenden Tänzers gefalle. Dessen Hauptprotagonist sei ein Nerd, der viel vor dem Bildschirm sitze und der Natur entfremdet sei. Flamingos kenne er nur aus Filmen, darum bringe er am Ende ein solches Tier einfach um. Die vorgeführten Videopassagen waren indes der Kunst entfremdet: Sie zeigten nur Discotanz aus dem Stück.

Dramaturgin Katja Wiegand und die von ihr eingeladene Tanzprofessorin Lucia Ruprecht von der Freien Universität Berlin redeten über die Ballettklassiker »Giselle« und »Schwanensee«. Ruprecht versprach, auch über die »Kulturgeschichte des Tanzes« zu sprechen. Von den Wurzeln des Balletts, die von französischer und italienischer Folklore über Qigong bis zum höfischen Tanz reichen, nannte sie aber nur die aristokratische Kultur.

Dass »Giselle« von 1841 im ersten Akt in einem Weinanbaugebiet spielt, interessierte die Damen nicht. Nur der zweite Akt, der die Wilis, also in Tüll gehüllte Geisterfrauen, nachts im Wald auftanzen lässt, fand Aufmerksamkeit. Videos zeigten die Königin der Untoten nebst Gefolge mit kühl-majestätischen, dennoch weich fließenden Tanzkünsten.

Als Ruprecht behauptete, die Arabesque, bei der das Bein hinten gestreckt erhoben wird, sei eine Bewegung ohne Ende, war das zu kurz gegriffen. Eine hohe Arabesque ist vollendet, wenn 90 Grad erreicht sind, ihre niedrige Version endet bereits bei 45 Grad Hebung. Ballett hat Regeln.

Natur als Seelenlandschaft kann hingegen »mal spirituell, mal gespenstisch« sein. Dominik White Slavkovský, der junge Choreograph, bezeichnete den zweiten Akt aus »Giselle« als »dream world«. Aber die Geister im Stück bezeichnen keineswegs einen Traum.

Weiter zu »Schwanensee«. Polina Semionowa flimmert vorüber. Die Pantomime der Odette berichtet auch in der Version von Patrice Bart dem Prinzen Siegfried, wie sie an den See kam. Dass sie eine Prinzessin ist, die der Zauberer Rotbart gefangen nahm. Die Tränen ihrer Großmutter bilden den See, auf dem Rotbart sie und weitere Mädchen in Schwäne verwandelte.

Doch weder der Dramaturgin noch der Professorin fiel die seit 1895 überlieferte Pantomime der Schwänin ein. Und so rätseln die gutbezahlten Damen wohl noch heute, was der See in »Schwanensee« eigentlich soll. Reingehen sollten sie trotzdem.

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