Es geht an die Substanz
Von Gert HautschEs sind 134 Seiten Festlegungen, die sich in drei Gruppen zusammenfassen lassen: solche, über die sich reden lässt, solche, über die man nicht reden sollte, und solche, bei denen es eigentlich nichts zu bereden gibt. Ende Oktober hatten die Regierungsspitzen der Bundesländer weitreichende Beschlüsse zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) auf den Weg gebracht.
Und es geht ans Eingemachte: Die zum Jahresbeginn 2025 fällige Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich wurde nicht beschlossen. Einstimmigkeit ist nötig, Länder wie Sachsen-Anhalt und Bayern sperren sich, im Dezember will man erneut beraten. Dabei ist das Verfahren verfassungsrechtlich verbrieft. Die Finanzkommission KEF hat die Erhöhung empfohlen, die Bundesländer dürfen sie nicht aus politischen Erwägungen ablehnen – doch das tun sie. Sie spekulieren, ARD und ZDF würden den Gang vors Bundesverfassungsgericht nicht wagen, obwohl sie den ziemlich sicher gewinnen würden.
Zudem einigte man sich in Leipzig auf weitreichende Änderungen im Rundfunkstaatsvertrag: Ziel sei, effizientere Strukturen zu schaffen und – wie könnte es anders sein – Kosten zu sparen. Diese Empfehlungen müssen allerdings noch alle Landesparlamente passieren. Werden sie auch nur in einem abgelehnt, ist das Vorhaben gescheitert. Frühestens im Sommer 2025 könnte es so weit sein.
Die ARD mit ihren neun Landesanstalten betreibt 73 Radioprogramme; davon sollen 17 eingestellt werden. Ebenfalls »wegfallen« werden mehrere TV-Spartenkanäle. So soll 3sat »perspektivisch« in Arte aufgehen, One (ARD) und ZDF Neo sollen »zusammenarbeiten«. Von Kanälen für Nachrichten, Bildung und Information (ARD Alpha, Tagesschau 24, Phoenix, ZDF Info) sollen zwei übrig bleiben. Bis Ende 2032 werden diese zudem – ebenso wie der Kinderkanal – nur noch online zu sehen sein. Die Sportrechte erhielten eine Deckelung auf höchstens fünf Prozent der Gesamtausgaben (derzeit knapp zehn Prozent). Auch Spitzengehälter will man nach oben begrenzen.
Diese Kürzungen und Streichungen werden pauschale Vorgaben sein, Details dürfen die Anstalten selbst festlegen. So hielt man es in Leipzig nicht für nötig, sich mit Folgen für Beschäftigte – ob festangestellt oder »frei« – und für nachgelagerte Branchen (etwa Filmproduktion) zu befassen.
Öffentlich heiß diskutiert wurde »Presseähnlichkeit«, also Texte auf den Websites von ARD und ZDF. Sie sollen auf ein Minimum begrenzt werden. Der Entwurf enthält eine »Positivliste« mit Beispielen. Bliebe es dabei, wären die Möglichkeiten der Anstalten im Internet und damit ihre Zukunftsfähigkeit noch stärker als derzeit eingeschränkt. Die Länderkonferenz übernahm vergleichsweise kühl die Sichtweise der Pressekonzerne. Protest kam von außerhalb: aus Publizistik, Medienforschung, Gewerkschaften und der Europäischen Rundfunkunion (EBU), die 68 Rundfunkanstalten vereinigt.
Schon der Begriff »Presseähnlichkeit« wird als aus der Zeit gefallen kritisiert. Die EBU hat dazu klare Worte: »Es gibt keine Nachweise dafür, dass die Onlinenachrichten des ÖRR sich negativ auf das Geschäftsmodell der Printmedien auswirken.« In Zeiten erheblicher Störungen und Falschinformationen sei es für die deutschen Öffentlich-Rechtlichen unerlässlich, auch digital mit dem Publikum, vor allem jungen Menschen, in Kontakt zu treten.
Bleibt die Frage, was die Politik seit Jahren antreibt, den ÖRR schwächen zu wollen. Die Steigerung des Rundfunkbeitrags auf knapp 19 Euro kann kein ernsthaftes Argument sein; schon ein Netflix-Premiumabo kostet 20 Euro. Bleiben zwei Erklärungsansätze. Erstens: Die Existenz eines relevanten, nicht profitorientierten Mediensektors stört, weil er die Möglichkeiten der Privaten beeinträchtigen könnte – um so mehr, als Presseverlage und Fernsehbetreiber unter wachsendem wirtschaftlichen Druck stehen. Deren Verwertungsbedingungen gelten offenbar als vorrangig. Zweitens sollte angesichts der globalen politischen Rechtsentwicklung nicht außer Acht bleiben: Bei allen autoritären Regierungen stehen öffentlich-rechtliche Medien – neben der Justiz – im Zentrum politischer Angriffe, um sie unter sichere Kontrolle zu bringen. Das, so scheint es, setzt sich auch hierzulande vermehrt durch.
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