Westen blockiert
Von Jörg KronauerEs gäbe genug zu tun, besonders auch für die G20, den Zusammenschluss der 20 größten Industrie- und Schwellenländer der Welt. Brasilien, das aktuell den Vorsitz der Staatengruppe innehat, hat einige zentrale Punkte auf die Tagesordnung gesetzt: den Kampf gegen Hunger und Armut, den Kampf gegen den Klimawandel. Greifbare Fortschritte aber werden auf dem G20-Gipfel, der am Montag in Rio de Janeiro beginnt, wohl ausbleiben, und zwar wegen der Blockade durch die wohlhabenden Staaten des Westens. Eine Milliardärssteuer, die den Superreichen wenigstens dürre zwei Prozent ihrer obszönen Vermögen abknöpfen würde, um zumindest die härtesten Armutsexzesse zu lindern? Sie wurde bereits im Vorfeld von den USA und von Deutschland verhindert. Beide wollen zudem die notwendigen Zahlungen zum Vorgehen gegen die Erderwärmung, die sie seit dem Beginn der industriellen Revolution maßgeblich verursacht haben, stärker als bisher den Schwellenländern aufdrücken, und die USA steigen nach dem Amtsantritt von Donald Trump womöglich komplett aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Sozial-ökologischer Fortschritt, wie dürftig auch immer er ausfallen mag? Nein danke, kein Interesse – das war schon vor dem G20-Gipfel die Botschaft des Westens.
Interesse hat der Westen allerdings an anderen Dingen, und zwar an solchen, die in Rio de Janeiro überhaupt nicht auf der offiziellen Tagesordnung stehen, da die G20 ihrem Ursprung nach ein ökonomisches, kein geostrategisches Format sind. Bundeskanzler Olaf Scholz hat vorab mitteilen lassen, er werde immer wieder den Ukraine-Krieg thematisieren. Warum? Nun, die Schwellenländer weigern sich im dritten Kriegsjahr unverändert, die Position des Westens zu dem Waffengang zu übernehmen; sie entziehen sich in einem zentralen Konflikt der westlichen Dominanz. Bereits die Abschlusserklärung des G20-Gipfels 2023 in Indien fiel aus Berliner Sicht in puncto Ukraine schwächer aus als die des G20-Gipfels 2022 in Indonesien. Der Entwurf für das diesjährige Gipfeldokument berücksichtigt die Positionen des Westens, wie zu hören ist, noch weniger – sehr zum Missfallen der Bundesregierung. Scholz wird sich nach Kräften bemühen, Änderungen durchzusetzen.
Ähnlich verhält es sich dem Vernehmen nach mit den Passagen, die im Entwurf für die Abschlusserklärung dem Gaza- und dem Libanon-Krieg gewidmet sind. Auch sie will die Bundesregierung so nicht stehen lassen: Sie dringt darauf, israelische Positionen in das Dokument zu übernehmen. Damit steht der Westen, der die Hälfte der G20 stellt, gleichfalls im Kern gegen den Rest der Welt. Der Abstieg der transatlantischen Mächte, die allzu lange das Weltgeschehen dominierten, spiegelt sich auch in Formaten wie etwa den G20 und in ihren Erklärungen wider. Ihn aufzuhalten, am besten wieder umzukehren: Das treibt das Vorgehen der Bundesregierung auf dem Gipfel in Rio de Janeiro an. Die Kämpfe gegen den Hunger, die Armut, den Klimawandel sind demgegenüber, wenn überhaupt, sekundär.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 04.06.2024
Solaranlagen für alle
- 01.03.2024
Lula will Superreiche besteuern
- 06.02.2020
Wer es sich leisten kann …
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
»Wir haben fast ein Jahrzehnt verloren«
vom 18.11.2024 -
Freiheit für die Westsahara
vom 18.11.2024 -
Unklare Lage in Abchasien
vom 18.11.2024 -
Tohuwabohu in Den Haag
vom 18.11.2024 -
Familie von Malcolm X klagt
vom 18.11.2024 -
»Riesige« russische Verluste?
vom 18.11.2024 -
»Frieden durch Stärke«
vom 18.11.2024