Brandstifter als Feuerwehr
Von Jörg TiedjenDer Befund scheint zutiefst widersprüchlich und liegt doch in der Logik eines selbstzerstörerischen Systems. Denn einmal mehr ist am Ende eines Jahres nicht nur festzustellen, dass es das wärmste war, das jemals gemessen wurde. Zugleich wurde auch noch nie zuvor soviel klimaschädigendes CO2 in die Atmosphäre freigesetzt wie 2024, und schon jetzt steht fest, dass diese beiden Rekorde nicht lange Bestand haben. Wie ist das zu erklären? Müsste der Einsatz fossiler Brennstoffe nicht im Gegenteil schon jetzt drastisch reduziert werden? Doch die großen Öl- und Gasfirmen, die seit langem als Hauptverantwortliche für die Klimakrise feststehen, sind keineswegs gewillt, von ihrem bisherigen Geschäftsmodell zu lassen, wie der in London lehrende Soziologe Adam Hanieh in seinem Buch »Crude Capitalism« darlegt.
Entgegen früheren Theorien vom »Peak Oil« – also eines »Höhepunkts« der Ölförderung (der lange für das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts prophezeit wurde), nach dem es zu einem unvermeidlichen Rückgang unter anderem wegen des Abschmelzens der natürlichen Ressourcen und des technischen und ökonomischen Wandels komme – verfügen Ölfirmen heute über gigantische Vorräte an fossilen Ressourcen, deren Verbrennung laut Hanieh 14mal mehr Treibhausgase freisetzen würde, als nach internationalen Abkommen zur Einhaltung des 1,5-Grad-Celsius-Ziels überhaupt noch zulässig wären. Und die Unternehmen treiben die Erschließung neuer Vorkommen voran. Gleichzeitig aber eigneten sich die überwiegend US-amerikanischen Multis »das Vokabular der Klimawende an«, um den Anschein zu erwecken, in Sachen Erderwärmung nicht Teil des Problems, sondern »Teil der Lösung« zu sein. Eine »klare Illustration« dieser Strategie sei der »fragwürdige und gefährliche Gebrauch des Schlagworts von den ›globalen Netto-Null-Emissionen‹«, die angeblich bis 2050 zu erreichen seien, hebt Hanieh hervor.
Bei »Net Zero« geht es nämlich nicht um eine Verringerung des Einsatzes fossiler Brennstoffe, sondern um das »Vorhaben, Emissionen, die durch ihren Verbrauch entstehen, dadurch auszugleichen, dass eine vergleichbare Menge Kohlenstoff wieder der Atmosphäre entzogen wird, indem zum Beispiel Wälder gepflanzt werden oder CO2 abgeschieden und gespeichert wird«. Techniken zum Einlagern von Kohlendioxid befinden sich aber nach Haniehs Darstellung erst in der Erprobung, so dass bezweifelt werden darf, ob dies in großem Stil möglich ist. Außerdem habe die Ölindustrie ein Verfahren entwickelt, bei dem abgeschiedenes CO2 zur Förderung bisher unzugänglicher Öl- und Gasreservoirs mittels Fracking eingesetzt wird. Die breite Anwendung dieser Methode würde unter dem Strich nochmals zu einer deutlichen Erhöhung von Emissionen führen.
Damit in Zusammenhang stehen Hanieh zufolge auch Pläne für eine sogenannte Wasserstoffindustrie, wie sie gerade auch in Deutschland propagiert wird. Denn der bisher auf dem Weltmarkt verfügbare Wasserstoff wird nicht klimaneutral durch Elektrolyse von Wasser gewonnen, sondern unter Freisetzung von CO2 aus Erdgas. »Und genau das ist ein Grund, warum die Ölindustrie heute die Idee einer Wasserstoffwirtschaft so enthusiastisch feiert.« Denn eine klimaneutrale Produktion ausreichender Mengen Wasserstoff liegt in weiter Ferne. Als »Übergangslösung« müsste er weiter aus Erdgas gewonnen werden, wobei das anfallende CO2 bestenfalls im Erdboden versenkt würde.
So erklärt sich auch, warum Mammutprojekte wie Pipelines quer durch Nordamerika oder die Sahara »jetzt noch« umgesetzt werden. Hanieh merkt dazu an, dass EU-Regularien so verfasst wurden, dass sie die Herstellung »grünen Wasserstoffs« auch mit Hilfe von Energie aus Gas oder Kohle erlauben. Mit diesem Etikettenschwindel habe Brüssel nach Ansicht der Organisation »Global Witness« »einen Goldstandard in Greenwashing« gesetzt. Auch den Ausbau der Elektromobilität oder die Gewinnung von Biokraftstoffen beschreibt Hanieh als Täuschung, um der Öl- und Gaswirtschaft das Überleben zu sichern. Unter Anspielung auf den römischen Kaiser Nero, dem nachgesagt wurde, dass er den Brand von Rom besungen habe, schließt der Autor: »Heute leistet sich die Welt das Spektakel einer Handvoll großer Ölfirmen, die nicht nur daneben stehen, während der Planet verglüht, sondern die auch noch belohnt werden für ihre Rolle als Brandstifter.«
Adam Hanieh: Crude Capitalism. Oil, Corporate Power, and the Making of the World Market. Verso Books, London und New York 2024, 328 Seiten, 23,99 Euro
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