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Aus: Ausgabe vom 19.11.2024, Seite 1 / Titel
Raketenfreigabe

Kriegsfans triumphieren

Nach Freigabe von US-Raketen zum Beschuss Russlands drängen FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf »Taurus«-Lieferungen an Ukraine. Kanzler schickt 4.000 »Mini-Taurus«-Drohnen
Von Arnold Schölzel
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Jetzt freigegeben für Beschuss russischer Ziele: Start einer US-»Atacms«-Rakete (Südkorea, 5. Juli 2024)

Am Wochenende gab Noch-US-Präsident Joe Biden weitreichende US-Raketen zum Beschuss russischer Ziele durch die Ukraine frei. Am Montag herrschte daraufhin bei FDP und Bündnis 90/Die Grünen Kriegseuphorie. Sie forderten einhellig Lieferungen des deutschen Marschflugkörpers »Taurus« an Kiew. CDU und CSU reagierten zurückhaltend. Allerdings wollte CDU-Chef Friedrich Merz noch am Donnerstag im Stern ein 24-Stunden-Ultimatum an Russland stellen, um danach mit der »Taurus«-Lieferung zu beginnen. Er äußerte sich am Montag nicht, wohl aber der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Er antwortete in München auf eine Frage nach den Marschflugkörpern, wichtig sei, »an der Stelle jetzt keine Detailentscheidungen zu treffen, sondern die grundlegende Strategie zu bereden.« Nochkanzler Olaf Scholz (SPD) ließ sein Nein zu »Taurus«-Lieferungen bekräftigen. Gleichzeitig bestätigte aber Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einen Bild-Bericht, wonach Kiew 4.000 neuartige deutsche Kampfdrohnen erhält. Sie werden nicht mehr manuell, sondern durch »künstliche Intelligenz« gesteuert.

Die ukrainische Führung hatte seit Monaten von den USA und Deutschland die Freigabe weitreichender Waffen verlangt. Zum Kurswechsel Washingtons ließ Scholz am Montag den stellvertretenden Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin erklären: »Ja, die Bundesregierung war darüber informiert, und nein, es hat keine Auswirkungen auf die Entscheidung des Bundeskanzlers, ›Taurus‹ nicht zu liefern.« Am selben Tag verkündete Pistorius beim Besuch von Airbus Helicopters im bayerischen Donauwörth und beim Rüstungskonzern MBDA in Schrobenhausen, er habe die Lieferung der Kampfdrohnen im Juni angekündigt, jetzt werde mit der Auslieferung begonnen. Sie seien in der Lage, »30, 40 Kilometer ins Hinterland zu wirken und dann insbesondere Gefechtsstände, logistische Knoten und anderes anzugreifen«. Gegenüber Bild lobte er, sie könnten sich »gegen die elektronischen Abwehrmaßnahmen der russischen Angreifer durchsetzen«. Diese Fähigkeit zeichnet angeblich auch den Marschflugkörper »Taurus« aus, der eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern hat.

Laut Bild werden die Drohnen (»Deutschlands geheime Superwaffe«) der Rüstungsfirma Helsing branchenintern daher als »Mini-Taurus« bezeichnet. Sie kommen demnach »in diesen Tagen erstmals auf den Schlachtfeldern im Süden und Osten« der Ukraine zum Einsatz. Finanziert werde alles durch die »Ertüchtigungsinitiative« der Bundesregierung.

Reuters berichtete am Montag, die ersten ukrainischen Angriffe auf Ziele in Russland mit US-»Atacms«-Raketen könnten schon in den nächsten Tagen erfolgen. Die »Atacms« haben eine Reichweite von etwa 300 Kilometern.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hatte am Sonntag abend in seiner täglichen Videobotschaft angedeutet, die Erlaubnis für den Einsatz weitreichender Waffen gegen Russland erhalten zu haben. Er erklärte, in den Medien kursierten entsprechende Berichte, doch Schläge würden nicht mit Worten geführt: »Solche Dinge werden nicht angekündigt. Die Raketen werden für sich selbst sprechen.« Der mögliche Einsatz solcher US-Waffen führt nach Ansicht Russlands zu einer Zunahme der Spannungen und werde die USA tiefer in den Konflikt hineinziehen. Der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, sagte am Montag, die scheidende Biden-Regierung gieße Öl ins Feuer und suche eine Eskalation des Krieges in der Ukraine.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (19. November 2024 um 17:29 Uhr)
    »Dann seh‘ ich die Wolken, die über uns sind, und höre die Schreie der Vögel im Wind. Ich singe aus Angst vor dem Dunkeln mein Lied und hoffe, dass nichts geschieht.« (Nicole beim Eurovision Song Contest 1982: »Ein bisschen Frieden«) Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, aber sie stirbt nie allein. Viele, die bis zuletzt hoffen, werden mit ihr sterben. Deswegen kann Hoffnung allein auch nie ausreichend sein, wenn sie nicht zur Tat führt, zur rechtzeitigen und vollständigen Entwaffnung der Kriegstreiber. Der Delinquent mag zwar selbst mit dem Kopf bereits in der Schlinge noch hoffen, dass der Strick reißt; nützen dürfte ihm das jedoch nichts mehr.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (19. November 2024 um 11:22 Uhr)
    Es wird zunehmend deutlich, dass es bei den Raketenlieferungen nicht allein um die Waffen selbst geht. Moderne, zielgenaue Raketen werden zwar geliefert, doch die entscheidenden Fragen bleiben unbeantwortet: Wer identifiziert und definiert die Ziele? Und wer ist tatsächlich in der Lage, diese technisch anspruchsvollen und oft sprachlich fremden Systeme effektiv zu bedienen? Der entscheidende Haken liegt in der Zielerfassung und der operativen Nutzung. Die Ukraine verfügt weder über eigene Satelliten zur Aufklärung gegnerischer Stellungen noch über ausreichend geschultes Personal, um diese hochkomplexen Waffensysteme unmittelbar zu bedienen. Eine entsprechende Ausbildung bräuchte Monate, wenn nicht Jahre – zu lang für die aktuelle Kriegsdynamik. Damit wird deutlich, dass diese Waffenlieferungen zwangsläufig von westlichen Akteuren ergänzt werden müssen. Konkret: Zielkoordinaten werden wohl von US-amerikanischen Satelliten geliefert, während die Bedienung der Systeme, zumindest teilweise, durch geschultes Personal erfolgen dürfte. Juristisch und praktisch gesehen führt dies zu einer erheblichen Eskalation: Die Ukraine nutzt zwar westliche Systeme, doch de facto erfolgt die Zielauswahl und Steuerung unter maßgeblicher Mitwirkung der westlichen Partnerstaaten. Die jüngsten Entscheidungen scheinen somit weniger darauf abzuzielen, den Verlauf des Krieges grundlegend zu verändern. Vielmehr dienen sie dazu, Russland weiteren Schaden zuzufügen und den Druck aufrechtzuerhalten. Doch die strategische Wirkung bleibt fraglich: Eine Verschiebung der Fronten oder gar eine Entscheidung des Krieges sind durch diese Maßnahmen nicht zu erwarten. Stattdessen riskieren sie eine weitere Eskalation und eine noch tiefere Verstrickung der USA und ihrer Verbündeten in den Konflikt. Russland hat bereits deutlich gemacht, dass es auf solche Schritte reagieren wird – die Frage ist nur, wie.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (20. November 2024 um 14:39 Uhr)
      Es wäre gewiss nicht besser, wenn die Ukrainer die Raketen selbst programmierten. Was Biden damit bezweckt ist, mir zumindest, nicht ganz klar. Die russischen Streitkräfte werden damit zurechtkommen. Hört man sich die amerikanischen Kanäle auf YouTube dazu an, klingt es für mich plausibel, dass man auch gar nicht möchte, dass Ukrainer die ATACMS selbst programmieren. Moskau liegt zwar außerhalb von deren Reichweite, nicht aber das AKW in Kursk. Würden die ukrainischen Desperados das in die Luft sprengen und es zu einer umfassenden Verseuchung mit entsprechen Folgen kommen, wären binnen der nächsten 30 Minuten Interkontinentalraketen auf dem Weg nach New York, Washington und Los Angeles. Das wissen die Akteure der westlichen Wertegemeinschaft ganz genau. Sollte es stimmen, dass die Franzosen und Engländer keine Freigabe für Angriffe, mit ihren Marschflugkörpern, auf russisches Staatsgebiet erteilt haben, spricht das dafür, dass Trump den Konflikt beenden will und weder Starmer noch Macron in Ungnade fallen möchten, indem sie wohlmöglich seine zukünftige Politik konterkarierten. Das mögen auch die Gründe sein, warum Olaf Scholz den Taurus nicht geliefert hat und jetzt aus der Deckung (Anruf bei Putin) gekommen ist. Auch Deutschlands neuer Kanzler wird sich sehr wahrscheinlich, mit seinen vollmundigen Ankündigungen den Taurus zu liefern, als Rohrkrepierer erweisen. Es ist reichlich paradox, dass die Hoffnungen auf Frieden in der Ukraine auf einem Apokalyptischen Reiter des Kapitals liegen. Hauptsache der scheiß Krieg und das Sterben von Menschen, ganz gleich welcher Nationalitäten, hört endlich auf. »Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt!«
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (19. November 2024 um 10:50 Uhr)
    Es war für den Autor sicher nicht schwer, die Waffenlieferungen an die Ukraine in allen Einzelheiten zu schildern. Kein Kunststück, da alles in den Medien nachzulesen ist, die oft genug als »Lügenpresse« bezeichnet werden (Stern, Bild, Reuters). Die Waffenlieferungen anderer Staaten (z. B. Nordkorea) an Russland werden in diesem Artikel gar nicht, in anderen jW-Artikeln höchstens beiläufig erwähnt. Offenbar kommt die Militärmacht Russland auch nicht ohne externe Hilfe aus. – Warum diese unterschiedlichen Darstellungen? Warum die Aufregung, wenn Kampfdrohnen aus der Ukraine 30, 40 Kilometer ins russische Hinterland wirken, während russische Kampfdrohnen die gesamte Ukraine seit über 1.000 Tagen treffen? – Wie wäre wohl Russlands Reaktion, wenn reguläre Truppen anderer Staaten auf Seiten der Ukraine in den Kampf ziehen würden? So, wie nordkoreanische Truppen auf russischer Seite?
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (19. November 2024 um 12:31 Uhr)
      »Die Waffenlieferungen anderer Staaten (z. B. Nordkorea) an Russland werden in diesem Artikel gar nicht, in anderen jW-Artikeln höchstens beiläufig erwähnt.« Darüber gibt es eben nicht so viel zu berichten. Die Ukraine erhält aus 50 Staaten Waffenlieferungen, Russland nach westlicher, noch zu bezweifelnder, Darstellung nur von vier Staaten. Ferner kommt es auf den Umfang der Lieferungen an. Für die Ukraine liefern westliche Staaten alles, einschließlich zivilem Staatshaushalt. Soll sich jW mehr Lieferungen für Russland ausdenken, damit Sie das für ausgewogen halten? »Offenbar kommt die Militärmacht Russland auch nicht ohne externe Hilfe aus.« Das sicher nicht, aber es nimmt gern zusätzliche Hilfe an und hilft auch anderen Ländern, z. B. Syrien und per Gegenseitigkeit auch Nordkorea. Doch die USA kommen garantiert nicht ohne externe Hilfe aus, weil so viele Länder seit 1949 Geld in ihre Rüstungsindustrie pumpen müssen, denn NATO-Waffen werden vorrangig bei ihnen produziert, aber von anderen bezahlt. Wo wären die USA ohne ihre spendablen Vasallen, ohne die hilfreichen Koalitionen der Willigen? Bei wem haben sie sich doch gleich 33 Billionen US-Dollar geliehen? »Warum die Aufregung, wenn Kampfdrohnen aus der Ukraine ins russische Hinterland wirken, während russische Kampfdrohnen die gesamte Ukraine seit über 1.000 Tagen treffen?« Es gibt im Gegensatz zu Ihnen eben Leute, die es aufregt, dass nach dem deutschen Ausrottungskrieg, dem Zwei-plus-vier-Vertrag und freiwilligem Abzug der Russen aus Deutschland nun erneut Russen durch deutsche Waffenlieferungen getötet werden. »Wie wäre wohl Russlands Reaktion, wenn reguläre Truppen anderer Staaten auf Seiten der Ukraine in den Kampf ziehen würden? So, wie nordkoreanische Truppen auf russischer Seite?« Das hat die russische Regierung offiziell bekannt gegeben.
      • Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (19. November 2024 um 13:08 Uhr)
        Vielen Dank für Ihre sachliche Replik auf Herrn Pfannschmidts erneuten Provokationsversuch. Der passionierte Vervielfältiger westlicher Narrative vergisst in seinen Ausführungen natürlich, dass Russland von westlicher Seite längst der Krieg erklärt wurde (Beispiel Baerbock: »Wir führen einen Krieg gegen Russland«). Das macht jede vom Westen gelieferte Rakete, die ins russische Hinterland abgefeuert wird, jede datenbasierte Unterstützung zu einem westlichen Angriff. Mir sind von nordkoreanischer Seite dagegen keine Kriegserklärungen an die Ukraine bekannt.
    • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (19. November 2024 um 12:18 Uhr)
      Zur Klarstellung: Einerseits existiert zwischen Russland und Nordkorea ein Militärabkommen, das es nordkoreanischen Truppen erlaubt, Russland im Bedarfsfall militärisch zu unterstützen. Andererseits gibt es zwischen der Ukraine und den westlichen Staaten kein formales Militärbündnis. Von Beginn an hat US-Präsident Joe Biden, dessen Land eine führende Rolle innerhalb der NATO einnimmt, gemeinsam mit führenden NATO-Kommandeuren unmissverständlich klargestellt, dass die NATO nicht direkt in den Krieg gegen Russland eingreifen wird.
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (19. November 2024 um 15:14 Uhr)
        »Andererseits gibt es zwischen der Ukraine und den westlichen Staaten kein formales Militärbündnis. Von Beginn an hat US-Präsident Joe Biden (…) unmissverständlich klargestellt, dass die NATO nicht direkt in den Krieg gegen Russland eingreifen wird«. Diese Darstellung kann man angesichts Bidens Freigabe von US-Raketen zum Beschuss Russlands nur als Zynismus und Parteinahme für die NATO-Krieger bezeichnen.

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