Freilassung erneut verhindert
Von Piedad Belmonte, ToulouseGeorges Ibrahim Abdallah ist heute einer der am längsten einsitzenden politischen Gefangenen überhaupt. Seit 40 Jahren ist das frühere Mitglied der »Libanesischen Revolutionären Armeefraktion« (Fractions armées révolutionnaires libanaises, FARL) in Frankreich inhaftiert, obwohl seit 1999 die Möglichkeit seiner Freilassung besteht. Vergangene Woche hat das zuständige Gericht im Rahmen einer Haftprüfung einmal mehr entschieden, dass Abdallah auf freien Fuß zu setzen ist. Als Stichtag wurde der 6. Dezember festgelegt. Doch die Antiterrorstaatsanwaltschaft hat erneut ihren Einspruch geltend gemacht.
Abdallah war in einer extrem spannungsgeladenen Situation im Untergrund aktiv, als er 1984 in Lyon wegen eines gefälschten algerischen Reisepasses verhaftet wurde. Israel war damals in den Libanon einmarschiert, um die palästinensische Befreiungsbewegung und deren Verbündete wie die FARL zu bekämpfen. Grausiger Höhepunkt waren die 1982 von mit den Invasoren verbündeten faschistischen Milizen begangenen Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila.
1986 erhielt Abdallah zunächst wegen des Passdeliktes und illegalen Waffenbesitzes eine Freiheitsstrafe von vier Jahren Haft. Doch in einem anschließenden Schwurgerichtsprozess wurde er wegen »Mittäterschaft« bei der Ermordung des stellvertretenden Militärattachés der US-Botschaft in Frankreich, Charles Ray, sowie von Yacov Barsimentov, zweiter Berater und Mossad-Agent an der israelischen Botschaft, im Jahr 1982 zu lebenslänglich verurteilt. Der Staatsanwalt hatte nur zehn Jahre gefordert.
Sowohl in dem Mordprozess als auch in den vorherigen Verfahren hatten die USA und Israel Druck auf Frankreich ausgeübt, Abdallah als »Terroristen« zu behandeln. Prozessbeteiligt für die USA war der Anwalt Georges Kiejman, der aus dem Umfeld des damaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand stammte. Dessen Berater Jacques Attali hatte seinerzeit eingeräumt, dass gegen Abdallah »nur Passfälschung« vorliege. Doch offensichtlich sollte an ihm ein Exempel statuiert werden.
Das spätere Bekenntnis eines seiner zwei Verteidiger, Jean-Paul Mazurier, im Kontakt mit dem französischen Auslandsgeheimdienst DGSE gestanden zu haben, wirft ein besonderes Licht auf das Verfahren. Mazurier ist zwischenzeitlich von der Anwaltskammer ausgeschlossen worden. Ebenso bemerkenswert ist, dass Manuel Valls, Innenminister unter Präsident François Hollande, sich 2013 weigerte, eine Ausweisung Abdallahs in dessen libanesische Heimat zu unterzeichnen.
Vor allem seit dieser Entscheidung hat sich eine internationale Solidaritätskampagne für Abdallah formiert, der nach wie vor auch aus seiner Zelle heraus für die Rechte der Palästinenser eintritt. An Kundgebungen sind regelmäßig namhafte Politiker der Linken und zahlreiche regionale Komitees beteiligt. Die letzte große Demonstration fand am 6. April in Lannemezan im Departement Hochpyrenäen statt, wo Abdallah inhaftiert ist. Der jüdische Dachverband in Frankreich (CRIF) agitiert regelmäßig gegen eine mögliche Freilassung, während die Marseiller Vereinigung »Juden für den Frieden« Abdallah unterstützt.
Kurz vor der jüngsten Haftprüfung fand im Gewerkschaftshaus in Toulouse am 28. Oktober eine Solidaritätsveranstaltung statt, bei der auch Abdallahs Pariser Anwalt Jean-Louis Chalanset per Video zu Wort kam. Er sagte, dass sein Mandant bestraft werden solle, weil er seiner politischen Überzeugung treu geblieben sei und auch eine Entschädigung der US-amerikanischen Nebenkläger ablehne: »Die USA zu entschädigen, hieße die Bomben zu finanzieren, die palästinensische und libanesische Kinder massakrieren.« Abdallah ist bewusst, dass sowohl der französische Staat als auch die USA und Israel es aus »Staatsräson« darauf anlegen, dass er die Haft nie mehr verlässt. Eine tatsächliche lebenslängliche Inhaftierung, auf die Washington besteht, ist allerdings unvereinbar mit der Europäischen Konvention der Menschenrechte, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2021 entschieden hat.
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