Zahlen, bitte!
Von Felix BartelsJust for fun hatte Manuel Andrack Chat-GPT beauftragt, einen typischen Dialog zwischen ihm und Harald Schmidt zu kreieren. Heraus kam allerbestes ZDF-Format: betulich, hemdsärmelig, hihi bis höhö. Vielleicht hätte ja das damals Quote gebracht, zeitlebens nämlich stand Schmidt, dieser einzige Mensch, der im deutschen Fernsehen Late Night gekonnt hat, im Schatten all jener Nullinger: der Gottschalks, Elstners, Kerners, Pochers, Jauche, Lanze, Welkes und Böhmermänner, die Chat-GPT bereits konnten, als es Chat-GPT noch gar nicht gab. Die Angst, der Mensch werde in seinen genuinsten Skills von KI ersetzt, scheint unbegründet, weil er längst von KI-Menschen ersetzt worden ist.
Es gibt wohl keine Sparte, in der Junkfood nicht gehobener Küche vorgezogen wird. Im Denken, der Musik, den visuellen Künsten, im Film oder der Literatur – Menschen wollen nicht Genuss, sie wollen vor allem eins: sich nicht anstrengen. Das bekam unlängst selbst Shakespeare zu spüren, am eigenen Skelett. Eine Studie der University of Pittsburgh legte 1.634 Personen Sonette von Shakespeare und Chat-GPT-Texte nach seinem Stil vor. Die Personen hatten keinen regelmäßigen Umgang mit Literatur, und es gewann – Überraschung – die KI. Gelobt wurden die Einfachheit und leichtere Verständlichkeit der Imitate. Schema obsiegt über Inspiration. Vielleicht hatte La Mettrie ja doch recht. Der Mensch, eine Maschine. Zumindest auf die Masse berechnet. Misst man die Gattung nicht an der Ausnahme, sondern an der Regel, erledigt sich die Frage, ob KI den Menschen selbst ersetzen kann. Natürlich kann sie. Der Mensch nämlich ist eine Maschine, weil die Maschine ein Mensch ist. Eigentlich zuständig für Drecksarbeiten – Rechnungen, die nicht schwierig, sondern bloß lang sind –, kann sie bei tief genug heruntergeschraubter Erwartung auch kreativ sein.
Und wenn die Maschine die Arbeit des Menschen übernimmt, kann der Mensch auch wieder die der Maschine übernehmen. Gleichfalls unlängst wurde die nächste höchste Primzahl entdeckt. Ein Beispiel jener Drecksarbeit, wo Fleiß statt Denken gefragt ist. Mathematische Beweise, dass Primzahlen nicht aufhören, gibt es längst. Verfahren, sie zu finden, auch. Dennoch verwenden Menschen horrende Mühe darauf, die nächste höchste zu finden. Eine Nerd-Community will diese leere Tätigkeit nun auf die Spitze treiben und die neu ermittelte Zahl vorlesen, Stelle für Stelle, 41 Millionen an der Zahl. Bei zwei Stellen pro Sekunde dauerte diese Lesung 237 Tage. Bis dahin aber dürfte die nächste höchste Primzahl schon ermittelt sein.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (18. November 2024 um 20:34 Uhr)So gerne es mir leid tut: Die größte Primzahl zu ermitteln, ist keine »leere Tätigkeit«. Primzahlen spielen in der Kryptografie eine große Rolle. Wer die größte Primzahl geheim halten kann, hat einen Vorteil. Wie man auf wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Great_Internet_Mersenne_Prime_Search) nachlesen kann, dauert die Suche noch einer neuen größten Primzahl im Mittel länger als 237 Tage. Seit 1996 wurden die 35ste bis 52ste Mersenne-Zahl im Great Internet Mersenne Prime Search (GIMPS) gefunden. Wie es scheint, ist nicht bewiesen, dass zwischen M48 und M52 keine weiteren Primzahlen existieren. Wie man an M52 sieht, kann man NVIDIA-Chips auch für was Vernünftiges verwenden, es muss nicht KI sein.
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