»Das ist Politik gegen Arme«
Interview: Hendrik PachingerIm fränkischen Fürth stimmten SPD und AfD gemeinsam für die Verringerung von Sozialleistungen für Arme. Grund hierfür ist angeblich eine angespannte Haushaltslage. Wie kam es zu der Abstimmung?
Im Zuge einer Haushaltskonsolidierung hatte die FDP beantragt, den Zuschuss für das Sozialticket drastisch zu kürzen. Dieses gibt es erst seit eineinhalb Jahren und ermöglicht Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten, das 49-Euro-Ticket zum halben Preis zu beziehen, und gewährt ihnen somit Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe. Für die andere Hälfte kommt die Stadt Fürth auf. Die SPD ist dann auf den Zug aufgesprungen und beantragte, den Zuschuss auf 18 Euro zu kürzen. Da das Deutschlandticket auf 58 Euro erhöht wird, bedeutet das für die Bezieher des Sozialtickets einen Eigenanteil von 40 Euro, also eine Preissteigerung von über 60 Prozent. Dem SPD-Vorschlag verhalf letztlich die AfD zu einer Mehrheit. Zwar wollte die AfD, genauso wie die CSU, die FDP und die Freien Wähler, eine noch drastischere Kürzung, aber am Ende war ihr eine geringere Kürzung lieber als keine. Ohne den Beschluss wäre es nämlich bei dem hälftigen Zuschuss geblieben. Das war unsere Forderung.
Ist es so schlecht um die Finanzen der Stadt bestellt, wie behauptet?
Es ist schon richtig, dass es eine finanzielle Schieflage in Fürth gibt. Alle Kommunen werden unterfinanziert. Aber das ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen. SPD und CSU regieren in Bund und Land. Doch statt die Kommunen besser zu finanzieren, wird das Geld lieber in die Militarisierung gesteckt. Und auch die Stadtführung in Fürth hat sich einer Schuldenbremse verschrieben, was die soziale Schieflage weiter verschärft.
Ist es in Zeiten von Inflation und Klimakrise eine gute Idee, sich an den Ärmsten der Gesellschaft zu bereichern?
Ganz klar: Nein. Gerade jetzt brauchen Menschen mit geringem Einkommen Unterstützung, um den steigenden Lebenshaltungskosten und Energiepreisen etwas entgegensetzen zu können. Die Inflation und die Energiekrise verschärfen die soziale Ungleichheit. Das sollte für eine Stadt wie Fürth ein Grund sein, die soziale Infrastruktur eher aus- statt abzubauen. Eine Kürzung von Sozialleistungen in dieser Lage zeugt nicht nur von einem Mangel an sozialem Bewusstsein, sondern auch von politischer Kurzsichtigkeit.
Im Jahr 2022 gab die Stadt über 100.000 Euro für die Sanierung des Rathausfoyers aus. Gibt es nicht andere Möglichkeiten für Kürzungen oder neue Einnahmequellen?
Wie ich schon gesagt habe, betrachte ich die finanzielle Situation der Kommunen als sehr schlecht. Auf der anderen Seite gibt es auch in Fürth Möglichkeiten, mehr Einnahmen zu erzielen, z. B. mit einer Gewerbesteuererhöhung. Bisher sind wir hier deutlich unter dem Hebesatz der Nachbarstadt Nürnberg. Dies haben wir nun auch bei den Haushaltsberatungen beantragt. Aber mit der Fürther SPD ist so etwas kaum zu machen. SPD-Oberbürgermeister Thomas Jung hat seine Partei kürzlich öffentlich dafür kritisiert, dass sie sich zu sehr auf soziale Themen fokussiere, statt auf Wirtschaftskompetenz zu setzen. Die SPD-Fraktion folgt ihm hier leider bedingungslos. Nicht einmal zu kostenneutralen Auflagen für Investoren bei Neubauprojekten – wie einer Quote für Sozialwohnungen – ist die Partei bereit.
Der Zuschuss zur Mobilität wurde mit Stimmen von SPD und AfD gesenkt. Keine andere Partei stimmte dem Vorhaben zu. Kritiker sprechen vom Bruch der viel beschworenen »Brandmauer«, die Sozialdemokraten von einem »künstlichen Skandal«. Wie schätzen Sie das Abstimmungsverhalten ein?
Die SPD hat hier mit der AfD eine Sozialleistungskürzung durchgesetzt, das ist Fakt und lässt sich nicht leugnen. Da ist es schon sehr billig, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das muss die SPD mit sich und ihren Anhängern ausmachen. Uns als Linke geht es nicht nur um die Brandmauer, die für die SPD und andere offenbar nicht existiert. Für uns ist die Zuschusskürzung Teil einer Politik gegen Arme, wie wir sie seit einigen Jahren in diesem Land erleben. Wir müssen es schaffen, den Betroffenen dieser unsozialen Politik eine Stimme zu geben und mit ihnen für einen grundsätzlichen Wandel zu kämpfen.
Niklas Haupt ist Stadtrat der Linkspartei in Fürth
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