Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 21.11.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Schulverpflegung

Anspruch und Wirklichkeit

Zu teuer, zu schlecht oder gar nicht gegeben. Zur Lage der Schulspeisung in Deutschland
Von Michael Polster
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Funktionierende Schulspeisung? Aber zu welchem Preis? Mittagessen in einer Ganztagsschule in Baden-Württemberg

In Berlin ist das Mittagessen an Grundschulen kostenfrei, vorausgesetzt es gibt welches. In den ersten Wochen nach den Sommerferien blieben viele Mägen leer. Der beauftragte Caterer war außerstande, die Versorgung der Schüler zu sichern. Entweder kam das Essen gar nicht oder Stunden zu spät, kam es an, war es in Teilen verschimmelt. Die Gewerkschaft Bildung und Erziehung (GEW) erklärte den Totalausfall damit, »dass nur wenige Caterer das Schulessen in Berlin übernehmen und damit überfordert sind«. Die Landesvorsitzende Martina Regulin sagte damals: »Sehr vielen Berliner Schülerinnen und Schülern fehlt die vielleicht einzige warme und gesunde Mahlzeit am Tag.« Die Gewerkschaft forderte vom Senat, ein Programm für die Reaktivierung der Schulküchen ins Leben zu rufen, damit wieder vor Ort gekocht werden kann. Von kommunalem Personal.

Inzwischen ist die Beschwerdeliste sehr lang geworden, nicht nur in Berlin. Dieser Tage erst ging ein Aufschrei durch die Medien, das Schulessen in Deutschland sei eklig oder fad. Fotos von Tellern, die etwa eine einsame Kartoffel oder eine Handvoll Nudeln mit einem Klecks Tomatensoße zeigten, machten die Runde. Etliche Schüler, hieß es, mieden ihre Mensa.

Föderales Durcheinander

Bundesweit einheitliche Vorschriften, was auf den Teller kommt, gibt es in der föderalistisch verfassten Bundesrepublik nicht, nur die Pflicht, dass etwas auf den Teller kommt. Es gibt 16 Bundesländer und damit 16 Konzepte für das Thema Schulessen. Ab August 2026 besteht für alle Erstklässler Anspruch auf Ganztagsbetreuung. In den folgenden Jahren soll der Anspruch ausgeweitet werden, bis er ab August 2029 für jedes Grundschulkind der Klassen eins bis vier gilt. Auf Beschluss der Kultusministerkonferenz müssen dabei alle Ganztagsschulen ein warmes Mittagessen anbieten. Wie dieses Mittagessen aussieht, ist von Bundesland zu Bundesland, von Gemeinde zu Gemeinde, von Schule zu Schule unterschiedlich. Beauftragte Cateringunternehmen schrauben nicht zuletzt vor dem Hintergrund von erhöhten Mehrwertsteuern und inflationsbedingten Kostensteigerungen regelmäßig die Preise nach oben. In manchen Schulen der Republik ist das angebotene Mittagessen mittlerweile so teuer geworden, dass es sich Schüler nicht mehr leisten können. Das bedeutet, viele von ihnen müssen in der Mittagspause mal eben schnell in die Stadt laufen, um bezahlbares Essen zu finden.

In Berlin verhalten sich die Dinge anders, aber es rumort dort schon eine ganze Zeit. Der Senat hatte den kostenbefreiten Kitabesuch und das Schulessen zur Debatte gestellt, Sparzwänge wurden vorgeschoben. Dagegen machten Parteien und Verbände mobil. Seit 2019 ist das Mittagessen an den Schulen für Grundschüler von der 1. bis zur 6. Klasse in Berlin kostenlos, und das soll erst einmal so bleiben. Für wie lange, bleibt ungewiss, solange die Sache nicht grundsätzlich geregelt wird. Das Deutsche Netzwerk Schulverpflegung verlangt schon seit längerem, dass eine kostenfreie tägliche warme Mahlzeit für alle Schülerinnen und Schüler als Kindergrundrecht anerkannt werden muss.

Kostenloses Essen möglich

Hierzulande besteht eine eklatante Diskrepanz zwischen der anerkannten Bedeutung einer angemessenen Schulverpflegung und der Bereitschaft, eine entsprechende Versorgung auch umzusetzen. Das lässt sich anhand der praktizierten Vergabe für die Verpflegung an den Schulen recht deutlich veranschaulichen. Doch auch auf Bundesebene geschieht zu wenig. Die Empfehlungen eines vom Parlament einberufenen Bürgerrates verpuffen wirkungslos. In diesem Rat sitzen Eltern und Schüler, rund 300 zufällig ausgewählte Menschen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Das Gremium hatte Vorschläge zur Verbesserung der Chancengleichheit im Bildungssystem erarbeitet und außerdem vorgeschlagen, dass es an Schulen und Kitas für alle ein kostenloses Mittagessen geben solle. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, unter allen Kindern und Jugendlichen, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund, Chancengleichheit herzustellen. Auch der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz hat bereits 2020 in seinem Gutachten »Politik für eine nachhaltigere Ernährung« eine beitragsfreie Schulverpflegung vorgeschlagen. Zwei aktuelle Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages legen zudem dar, dass ein kostenfreies Mittagessen an allen Schulen und Kitas in Deutschland möglich ist. Was aber nützt eine gute Idee, wenn die Rahmenbedingungen und Steuerungsmöglichkeiten nicht klar und transparent fixiert sind?

Hintergrund: Garantiertes Essen

Ost und West haben unterschiedliche Ansätze zur Schulverpflegung nach 1989 eingebracht. Die Briten führten in ihrer Zone ab März 1946 eine Schulspeisung aus Armeebeständen durch. US-Präsident Herbert C. Hoover empfahl, dass 1947 in der Bizone 3,5 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren täglich mit einer Mahlzeit versorgt werden. 1945 hatte die sowjetische Militäradministration (SMAD) Tagesrationen für Nahrungsmittel festgesetzt. Zwei Befehle der SMAD, der für warmes Mittagsessen für Arbeiter und der für die Gründung des Institut für Ernährung und Verpflegungswissenschaften in Potsdam-Rehbrücke, sollten das alltägliche Leben in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR nachhaltig beeinflussen. In der französischen Zone begann die Schulspeisung ab Mai 1949.

Die Schulspeisungen dauerten in der alten BRD nur bis etwa 1950/51. In den späteren Jahren lag die Pausenversorgung mit Milch und Süßigkeiten in den Händen der Hausmeister, die damit ihre spärlichen Finanzen aufbesserten. Schulverpflegung fand nicht mehr statt: Die Mütter kochten zu Hause für ihre Kinder.

Einen anderen Weg ging man in der DDR. 1950 erließ der Minister für Handel und Versorgung eine Anordnung zur Durchführung der Schülerspeisung, die 1955 und 1965 ergänzt wurde. 1975 beschloss der Ministerrat der DDR das Gesetz über die Schüler- und Kinderspeisung. Mehr als zehn Prozent aller Schüler und Kinder erhielten ihr Mittagessen und ihre Trinkmilch kostenlos, davon wiederum 90 Prozent aus kinderreichen Familien. Alle Kinder in den Vorschuleinrichtungen und 85 Prozent aller Schüler nahmen bis 1989 täglich ein warmes Mittagessen ein. 75 Prozent der finanziellen Aufwendungen für die Rohstoffe wie für die Lohn- und Nebenkosten mussten die Kommunen subventionieren. Die Teilnehmer zahlten 0,50 bis 0,75 DDR-Mark pro warme Mittagsmahlzeit. Die Speisepläne wurden auf der Grundlage eines »Rezepturenkataloges für die Schülerspeisung« und unter Berücksichtigung der Verzehrgewohnheiten für einen Zeitraum von vier Wochen aufgestellt und wöchentlich den Schülern zur Kenntnis gegeben.

Und heute? Eine moderne Gesellschaft, die für Lebensmittel keinen Cent zu viel ausgibt und sich über eine notwendige Finanzierung von Schulverpflegung streitet, setzt die falschen Akzente. Rund drei Millionen von mehr als acht Millionen Schülern aller Schulformen nehmen an dieser oder jener Form der Schulverpflegung teil. Das heißt umgekehrt: fast zwei Drittel der Kinder unter 14 Jahre kommen nicht in den Genuss eines warmen Mittagessens. (mp)

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  • Leserbrief von Jana Muschalik aus Berlin (22. November 2024 um 12:28 Uhr)
    Was der Artikel nicht erwähnt: Seit mehr als 10 Jahren setzt sich Die Linke im Bundestag für kostenfreie und gesunde Schulverpflegung ein. Die Linke ist diejenige Partei, die das Thema im Bundestag immer wieder auf die politische Tagesordnung setzt: im Plenum, in Anhörungen, in parlamentarischen Anfragen, in den Ausschüssen des Bundestages und mit der Beauftragung der beiden im Artikel erwähnten Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste. Mit der linken Regierungsbeteiligung in Berlin wurde dieser Anspruch für die Schülerinnen und Schüler auch in die Praxis umgesetzt. 2016 hat das finnisches Bildungsministerium in einer Anhörung im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft erklärt, dass die Verpflegung der Schüler und Auszubildenden seit 1943 »zentraler Bestandteil der finnischen Esskultur und des gesamten Verpflegungssystems« sei. Das Recht auf eine unentgeltliche Mahlzeit pro Tag für jeden Schüler bzw. jede Schülerin sei von keiner Regierung in Zweifel gezogen wurden, egal welche Partei diese anführte. Mit einer gesunden und kostenfreien Mahlzeit am Tag in den Schulen und Kitas könnte man so viel für unsere Kinder tun – ihr Ernährungswissen verbessern, sie leistungsfähiger und gesünder machen, sozial gerecht jedem Kind ein gesundes Essen am Tag sichern und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Für mich ist es daher unerklärlich, warum all diese Vorteile für alle anderen Parteien keine Priorität haben. Denn eins offensichtlich, alle Parteien (bis auf Die Linke) verstecken sich hinter dem föderalen Zuständigkeitswirrwarr, um ihr Nichthandeln rechtfertigen zu können. Gesunde Ernährung muss endlich den Stellenwert in der Gesellschaft und Politik bekommen, die es verdient.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (21. November 2024 um 06:15 Uhr)
    In der Bundesrepublik Deutschland wird wunderbar über Menschenrecht und Freiheit parliert. Wenn es denn um nichtverbündete andere Länder geht. Im eigenen gilt Soziales dann eher als Firlefanz, über den man zwar reden kann, aber für den man eigentlich nichts tun muss. Wie soll es auch anders sein in einer Gesellschaft, deren gedankliches Zentrum der Profit ist und nicht die unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen? Die schreibt man allenfalls ins Grundgesetz, damit auch hungernde Kinder etwas haben, wovon sie träumen können.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (21. November 2024 um 12:37 Uhr)
      »Die Enttäuschung über das Ausbleiben einer solchen [sozialpolitischen, HH] Konzeption geht so weit, dass in Bonn als Scherz kolportiert wird, Katzer habe seinerzeit Erhard als Bedingung für die Übernahme des Ministeramtes in die Hand versprechen müssen, den «Sozialklimbim» nicht weiter auszubauen, sondern auf der Stelle zu treten und womöglich den erreichten Besitzstand wieder zurückzuschrauben. Die Phase der additiven, das heißt auf ständige Ausgabenmehrung orientierten Sozialpolitik, geht angesichts der Finanznöte des Staates ohnehin zu Ende.« Aus »Das K. u. K.- Regime in Bonn, Sozialpolitiker ohne Programm, ZEIT Nr. 28/1967, 14. Juli 1967« (https://www.zeit.de/1967/28/das-k-u-k-regime-in-bonn/komplettansicht). Soziales als Firlefanz hat also Geschichte in der westdeutschen Geschichte.

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