Notgeburt im Straßengraben
Von Ralf WurzbacherSobald Weihnachten naht, zieht das »Bündnis Klinikrettung« Bilanz: Wie viele Standorte gingen im Jahresverlauf verloren? 2024 werden es voraussichtlich 23 sein, teilte die Initiative am Mittwoch bei einer Videokonferenz mit. »Der Kahlschlag geht ungebremst weiter«, beschied Sprecherin Laura Valentukeviciute. »Bereits jetzt sind Menschen in vielen Regionen Deutschlands mit einer gefährlichen Unterversorgung konfrontiert.« Wie sie ausführte, wurden auch etliche Fachabteilungen abgewickelt, darunter 13 Geburtshilfstationen. In 30 Jahren habe sich die Zahl der Kreißsäle mehr als halbiert. Wo bringt Deutschland künftig seinen Nachwuchs zur Welt? Im Stall? Oder im Straßengraben?
Karl Lauterbach (SPD) hat andere Sorgen. Vor einem Monat sagte er der Bild: »Es ist ganz klar, dass wir in zehn Jahren spätestens ein paar Hundert Krankenhäuser weniger haben werden.« Der Bundesgesundheitsminister findet das prima, denn dafür »haben wir nicht den medizinischen Bedarf«. Ihn stört allerdings, dass der Aderlass so ungeordnet vonstatten geht. Er zieht es vor, nach Plan plattzumachen, was seine »Großreform« namens Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) erledigen soll. Die aber wackelt bedenklich. Nach dem Bruch der Ampel fehlen plötzlich die nötigen Mehrheiten in Bund und Ländern, und die Union droht offen damit, die Vorlage scheitern zu lassen.
Am Freitag befasst sich der Bundesrat mit dem Regelwerk. Mehrere Länder haben Widerstand angekündigt und wollen den Vermittlungsausschuss anrufen. Müsste das Gesetz noch einmal zur Inspektion, will CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nicht mehr mitmachen. »Die Vorstellung, dass man sich auf Basis eines verkorksten Lauterbach-Gesetzes auf Reparaturmaßnahmen einigen könnte, die das Gesetz zustimmungsfähig machen, halte ich für nicht realistisch«, gaben ihn zu Wochenbeginn die Zeitungen der Mediengruppe Bayern wieder. Bei den Klinikrettern wächst deshalb die Zuversicht. »Stoppen Sie Lauterbachs Blindflug, schicken Sie das KHVVG zur Nachbesserung in den Vermittlungsausschuss«, heißt es in einem Appell an die Landesregierungen.
Kernstück der Pläne ist eine stärkere medizinische Spezialisierung. Vor allem kleinere Häuser sollen in Zukunft weniger Leistungen anbieten und größere Eingriffe den Großen überlassen. Die Flurbereinigung werde das noch beschleunigen und nicht, wie Lauterbach behauptet, bremsen, erklärten gestern mehrere Verbandsvertreter bei besagtem Pressetermin. »Das KHVVG wird die existentiellen Probleme unserer Krankenhäuser weiter verschlimmern«, warnte Arndt Dohmen, Sprecher vom Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik«, dem unter anderem die Gewerkschaft Verdi und ATTAC angehören. Die Bedürfnisse von Patienten würden »noch mehr in den Hintergrund gedrängt«, die Arbeitsbedingungen sich »noch weiter verschlechtern«, der Fachkräftemangel »noch größere Ausmaße« annehmen.
In den zurückliegenden fünf Jahren wurden bundesweit über 90 Kliniken dichtgemacht. 2023 bildete den vorläufigen Höhepunkt mit 25 Abwicklungen. 2024 könnten es zwei weniger sein, wobei bis Neujahr noch Zeit zum Abservieren bleibt. Betroffen waren insgesamt 5.000 Beschäftigte, wobei der Großteil der Arbeitsplätze in der Regel wegfällt und nur in »manchen Fällen« eine Alternative vor Ort Abhilfe schafft. Eigentlich verspricht Lauterbach für alle geschlossenen Häuser Ersatzlösungen, sogar mit qualitativen Verbesserungen in der Breite. Das »Bündnis Klinikrettung« hatte dies zu Jahresanfang mit einer Analyse widerlegt. Von den seit 2020 über 7.600 abgebauten Betten tauchten lediglich knapp über 1.000 an anderer Stelle wieder auf.
Die Aussichten bleiben düster. Auf kurze Sicht stünden allein 90 weitere Standorte »akut« zur Disposition, bemerkte Valentukeviciute. Lauterbach selbst rechnet im Rahmen seiner »Reform« mit über 350 Abwicklungen. Wie schön: Vor ziemlich genau einem Jahr entband eine Frau ihr Kind auf dem Seitenstreifen der Autobahn 99 bei München. Und stetig lichtet sich das Versorgungsnetz.
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