Nährstoffarm und energiedicht
Von Oliver RastSie gucken den Leuten auf den Teller. Ganz genau. Die Analysten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Am Mittwoch veröffentlichte die DGE ihren neuen Ernährungsbericht, den bislang 15. seit 1969. Eine Informationsquelle, »fundiert, objektiv, verlässlich«, steht in der gleichentags überreichten Pressemappe. Ferner ein »wichtiger Gradmesser für die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung, ihre gesundheitlichen Auswirkungen und den Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse«. Drei in einem also.
Und die Berichtsschwerpunkte diesmal? Etwa »lebensmittelbezogene Aspekte« zu stark verarbeiteter Nahrungsmittel, beispielsweise bei Milchprodukten. Pasteurisieren, sterilisieren, homogenisieren – thermische und mechanische Verarbeitungsverfahren aus den Laboren der Lebensmittelindustrie. Nur zum Wohl des menschlichen Verzehrs. Vermeintlich. Denn: »Viele Studien, die bisher unterschiedliche Klassifizierungssysteme und individuelle Definitionen stark verarbeiteter Lebensmittel nutzen, weisen auf gesundheitliche Risiken hin, die mit höherem Verzehr stark verarbeiteter Lebensmittel assoziiert sind«, heißt es im Bericht verklausuliert.
Was problematisieren die DGE-Analysten noch, ernährungsphysiologisch vor allem? Die Verpflegung außer Haus von Konsumenten in Fast-Food-Ketten und in der Systemgastronomie mit Standardangeboten. Ein kulinarisches Einerlei, oftmals Nährstoffkiller und Dickmacher zugleich. Mahlzeiten häufig in Schnellrestaurants, Döner- oder Pommesbuden und Snackbars einzunehmen, »könnte zu einer übermäßigen Kalorienzufuhr und damit zu Übergewicht und ernährungsmitbedingten Krankheiten beitragen«. Eine erwartbare Prognose, ein bekannter Befund.
Interessanter ist die Frage von Ernährungsarmut, speziell die Ernährungssituation armutsgefährdeter Haushalte mit Kindern. Dazu gibt es Daten. Zunächst: In der BRD sind der DGE zufolge knapp 15 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet. In Zahlen: rund zwölf Millionen Personen. Alleinerziehende und kinderreiche Haushalte besonders. Und, ein erhöhtes Armutsrisiko beeinflusst den Ernährungs- und Gesundheitszustand, wissen die Berichterstatter.
Nicht nur das, »betroffene Haushalte empfanden sich aufgrund von Geldmangel in ihrem Zugang zu Lebensmitteln deutlich eingeschränkt. Zum Beispiel sorgten sie sich, dass ihnen das Essen ausgeht, und sie konnten nur zwischen wenigen verschiedenen Lebensmitteln wählen«, wurde Anja Simmet, Expertin für angewandte Ernährungspsychologie an der Universität Hohenheim, im DGE-Bericht zitiert. Teilweise verzichten Betroffene wegen schmaler Portemonnaies auch auf einzelne Mahlzeiten. Häufig fühlen sie sich zudem sozial ausgegrenzt. Knapp 70 Prozent der befragten Elternteile einer im Bericht erwähnten Studie litten unter sozialer Ernährungsunsicherheit. Dies bedeute, »dass sie sich zum Beispiel für ihre Ernährungssituation schämen und diese versuchen vor anderen zu verstecken«, ergänzte Simmets Kollegin Nanette Ströbele-Benschop. Fernerhin nutzten mehr als 80 Prozent der teilnehmenden Haushalte das Angebot der Lebensmittelausgabe einer Tafel.
Weitverbreitet sei auch ein »ungünstiges Essverhalten«. Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus armen Haushalten verzehrten im Mittel mehr Fleisch und Wurstwaren aus Massentierhaltung, nicht zuletzt nährstoffarme und energiedichte Lebensmittel. Zu oft, zu viele süße und fettreiche Snacks. Gute Lebensmittel kosten. Nicht von ungefähr belasten Preissprünge bei Esswaren des täglichen Bedarfs im Discounter Arme überproportional. Oder wie die Analysten sagen: Die Teuerungswelle sei eine der wichtigsten Herausforderungen für eine gesundheitsfördernde Ernährung. »Ein geringes Haushaltsbudget schränkt die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie das Pflegen sozialer Kontakte ein«, so Michael Teut von der Charité-Universitätsmedizin Berlin im DGE-Bericht.
Eine Aussage, die übersetzt wohl heißt, besser heißen muss: Die Ernährungsfrage ist eine soziale Frage; und eine Klassenfrage ist, was auf den Teller kommt.
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