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Aus: Ausgabe vom 21.11.2024, Seite 6 / Ausland
Sudan

Unsichtbares Sterben

Untersuchung zu Sudan: Zahl der im Krieg Getöteten und Verstorbenen weit höher als angenommen
Von Saskia Jaschek
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Zu Krieg und Gewalt kommt auch noch die Klimakrise hinzu: Flüchtende mit Hab und Gut nach Überschwemmungen in der Provinz Rotes Meer (Tokar, 28.8.2024)

Der seit über 19 Monaten andauernde Krieg in Sudan hat zur »größten humanitären Katastrophe der Welt« geführt, wie Hilfsorganisationen hervorgehoben haben. Mehr als zwölf Millionen Menschen sind bisher zur Flucht gezwungen worden. Nun bestätigt eine aktuelle Untersuchung, worauf Beobachter seit langem hinweisen: Die Zahl der zivilen Opfer ist sehr viel höher als bislang vermutet. Demnach sollen etwa 90 Prozent der Todesfälle im Hauptstadtbundesstaat Al-Khartum undokumentiert geblieben sein. Das ließe darauf schließen, dass auch in anderen Bundesstaaten die Zahl der Getöteten und an Hunger oder Krankheiten Verstorbenen höher ist als bisher angenommen.

Zu diesem vergangene Woche veröffentlichten Ergebnis kamen Forschende der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM) mit Hilfe einer speziellen statistischen Untersuchungsmethode. Sie ermittelten damit für den Zeitraum April 2023 bis Juni 2024, dass in Al-Khartum 61.000 Menschen starben, was einem Anstieg von 50 Prozent gegenüber der Vorkriegszeit entspricht – 26.000 davon durch direkte Gewalteinwirkung. Andere Ursachen seien weitgehend »unsichtbar«, aber »vermeidbar«, etwa der Ausbruch von Krankheiten wie Denguefieber, Malaria oder Cholera oder die andauernde Hungersnot.

Unsichtbar gemacht wird das Sterben weiterhin durch die seit nun über einem Jahr anhaltende Abschaltung des Internets und vieler Telekommunikationswege in weiten Teilen Sudans. Sowohl das sudanesische Militär (SAF) als auch die paramilitärischen Schnellen Eingreiftruppen (RSF) setzen die Abschaltungen gezielt zur Kontrolle ein. Zugleich verdecken sie die Greueltaten an der Zivilbevölkerung, etwa Vergewaltigungen und Zwangsverheiratungen von Frauen und Mädchen, gezielte Angriffe auf Mitglieder der revolutionären Bewegung, die 2019 den Sturz des ehemaligen Diktators Omar Al-Baschir erwirkt hatte, oder die Massenmorde an Minderheiten, die besonders in den peripheren Gebieten des Landes stattfinden.

Im Oktober nahmen die RSF weitere Teile des Staates Al-Dschasira im Zentrum Sudans ein. Wie das sudanesische Medienhaus Ayin berichtet, kontrollieren die RSF dort derzeit mehr als 130 Dörfer. Der Bundesstaat von der Größe Belgiens war bis vor Kriegsbeginn das agrarwirtschaftliche Zentrum des Landes und sicherte die Ernährung für die Mehrheit der Bevölkerung. Seit seiner ersten Invasion durch die RSF vor knapp einem Jahr ist die Landwirtschaft fast gänzlich eingebrochen, was zu der schrecklichen Hungersnot beiträgt, die seit Monaten fast ungehindert wütet.

1.237 Zivilisten sollen die RSF innerhalb von drei Wochen in Al-Dschasira getötet haben, gab der Journalist Ataf Mohammed auf X bekannt. Knapp 350.000 Menschen wurden in dieser Zeit erneut vertrieben, berichtet die Internationale Organisation für Migration. Kurz vorher waren die Kämpfe in der Stadt Al-Fascher in der westlichen Provinz Norddarfur eskaliert. Die von den RSF-Milizen besetzte Stadt ist nun beinahe vollständig ausgestorben. Die Besetzung gefährdet auch das nahegelegene Geflüchtetenlager Zamzam. In ihm leben etwa 500.000 Menschen unter schlimmsten Bedingungen. Schon Anfang des Jahres berichtete Ärzte ohne Grenzen, dass dort alle zwei Stunden ein Kind an den Folgen von Hunger sterbe.

Auch in Khartum ist die Situation finster. Die Notfallzentralen im östlichen Stadtteil Scharig Al-Nil gaben bekannt, dass sie gezwungen waren, 150 ihrer insgesamt 162 lokalen Gemeinschaftsküchen zu schließen. Durch den erneuten Geflüchtetenzuwachs aus dem benachbarten Al-Dschasira und fehlende Ressourcen sei es nicht möglich, die Versorgung aufrechtzuerhalten. Die graswurzelorganisierten Notfallzentralen sorgen für Hilfe vor Ort und koordinieren die noch verbleibenden Ressourcen. Für die in den Kriegsregionen Verbliebenen bilden sie eine letzte Lebensgrundlage. Die Gemeinschaftsküchen operieren in neun der insgesamt 18 Bundesstaaten Sudans. Um Nahrungsmittel zu erhalten, müssen sie nach eigenen Aussagen exorbitante Summen an die jeweiligen Besetzer zahlen.

Internationale Organisationen kommen mit ihren groß angekündigten Hilfsleistungen nach wie vor nur eingeschränkt voran. Über die Plattform Gofundme versuchen die Küchen, Gelder für die Fortführung ihrer Arbeit zu sammeln. Wie lange sie sich unter diesen Bedingungen noch selbst erhalten können, ist ungewiss.

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