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Aus: Ausgabe vom 21.11.2024, Seite 6 / Ausland
Niederlande

Nachwehen von Amsterdam

Rücktritte in Den Haag. Bürgermeisterin nimmt Aussage zu »Pogrom« zurück
Von Gerrit Hoekman
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Aufrecht: Femke Halsema hat ihre Aussagen vom 8. November in Amsterdam zurückgezogen

Die Vierparteienkoalition in den Niederlanden ist erst seit Anfang Juli im Amt, aber sie bröckelt bereits wie ein alter Gouda. Am Dienstag teilten zwei Abgeordnete des konservativen Nieuw Sociaal Contract (NSC), Femke Zeedijk-Raeven und Rosanne Hertzberger, mit, dass sie die Fraktion verlassen. Die Zusammenarbeit mit der ultrarechten PVV von Geert Wilders soll ihnen schon länger Bauchschmerzen bereiten. Konkreter Anlass ist nun aber der Rücktritt ihrer Parteifreundin Nora Achahbar als Staatssekretärin im Finanzministerium am Freitag.

»Wir sollten die anhaltende Tendenz der PVV, Minderheiten zu beleidigen, nicht als normal ansehen«, sagte Hertzberger auf einer Pressekonferenz. Nachdem es am 7. November in der Innenstadt von Amsterdam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen rechten Fußballhooligans des israelischen Vereins Maccabi Tel Aviv und palästinasolidarischen Demonstranten sowie Einwohnern mit Migrationshintergrund gekommen war, hatte Wilders wieder auf seine islamfeindliche Rhetorik zurückgegriffen und unter anderem behauptet: »Wir haben gesehen, wie Muslime Juden gejagt haben.«

Die zurückgetretene Staatssekretärin Achahbar ist in Marokko geboren und in Den Haag aufgewachsen. Die Herkunft soll bei einer Krisensitzung des Kabinetts nach den Krawallen eine Rolle gespielt haben, berichteten niederländische Medien unisono. Gegenüber der Nachrichtensendung »Hart van Nederland« betonte Achahbar am Dienstag aber, dass Rassismus nicht der Grund für ihren Rücktritt gewesen sei, sondern der grundsätzlich polarisierende Umgang innerhalb des Kabinetts. »Wenn gesagt wird, dass ein großer Teil der islamischen Jugend unsere Werte nicht teilt, oder behauptet wird, wir hätten ein Integrationsproblem, treibt man einen Keil zwischen die Menschen«, erklärte Achahbar. Auf die Frage, ob in der besagten Kabinettssitzung Worte wie »Scheißmarokkaner« benutzt wurden, antwortete Achahbar: »Ich möchte mich nicht zu bestimmten Worten äußern.«

Nach den Ausschreitungen in Amsterdam machte in Politik und Medien schnell der Begriff »antisemitischer Pogrom« die Runde. Die Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema (Groenlinks), bedauert inzwischen, dass sie den Terminus ebenfalls benutzt hat. Sie habe »die Traurigkeit und Angst der jüdischen Amsterdamer betonen« wollen, aber in den folgenden Tagen habe sie gesehen, »wie das Wort bis hin zur Propaganda politisiert wurde«. Sie hätte außerdem häufiger auf das kriminelle Verhalten der Maccabi-Anhänger hinweisen müssen, sagte Halsema am Sonntag in der Nachrichtensendung »Nieuwsuur«. Erst später habe sie erfahren, dass sich die rechten Ultras von Maccabi ebenfalls alles andere als friedlich verhalten hätten.

Zudem habe das sogenannte Dreieck aus Bürgermeisterin, Polizeichef und Oberstaatsanwalt unter großem Druck gestanden, auch international, als es am Tag danach vor die Öffentlichkeit trat. »Wir wurden von Israel völlig überrumpelt. Um drei Uhr morgens hielt (Israels) Premierminister (Benjamin) Netanjahu bereits einen Vortrag über die Geschehnisse in Amsterdam, während wir noch dabei waren, die Fakten zusammenzutragen«, erklärte sie. »Die israelische Regierung spricht von einem ›palästinensischen Pogrom in den Straßen von Amsterdam‹, im politischen Den Haag wird das Wort ›Pogrom‹ aber hauptsächlich zur Diskriminierung marokkanischer Amsterdamer, von Muslimen, verwendet.« Sie wolle jedoch kein Instrument in einem nationalen und internationalen politischen Kampf sein.

Als »völlig inakzeptabel« bezeichnete der neue israelische Außenminister Gideon Saar am Montag via X, dass Halsema die Ereignisse in Amsterdam nicht mehr als Pogrom bezeichnen will. »Das Versagen dieser Nacht darf nicht durch ein weiteres schweres Versagen verschlimmert werden: eine Vertuschung«, warf Saar der Bürgermeisterin vor. Die niederländische Historikerin Maria Grever widersprach gleichentags in einem Kommentar für das NRC Handelsblad: »Die Angriffe auf Maccabi-Fans mit einem Pogrom zu vergleichen, ist eine unerträgliche Übertreibung.« Dies zeuge nicht nur von mangelndem Geschichtsbewusstsein, sondern zeige auch eine bestimmte politische Absicht.

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