Keiner will »einfrieren«
Von Reinhard LauterbachRussland hat einen Bericht der Nachrichtenagentur Reuters dementiert, wonach das Land bereit sei, sich mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump auf einen Waffenstillstand entlang der Frontlinie in der Ukraine zu einigen. Ein Einfrieren des Konflikts sei für Russland »unpassend«, sagte der Sprecher des Präsidialamts, Dmitri Peskow, am Mittwoch; die selbstgesetzten Ziele der »Spezialoperation« müssten erreicht werden.
In dem Reuters-Bericht, der sich auf anonyme Aussagen mehrerer hoher russischer Beamter beruft, hieß es, Moskau sei abgesehen von einem Waffenstillstand entlang der Frontlinie auch zu »geringfügigen territorialen Zugeständnissen« an die Ukraine bereit – insbesondere in den Bezirken Charkiw und Mikolajiw, von denen Russland ohnehin nur geringe Anteile besetzt hält. Auch über eine Neuaufteilung der Gebiete Donezk, Lugansk, Saporischschja und Cherson könne eventuell verhandelt werden. Letzteres ist in der Sache eine Luftblase, denn wenn der Krieg entlang der Frontlinie zum Stichtag enden sollte, wären die Tage der genannten ukrainischen Verwaltungsbezirke in ihrer bisherigen territorialen Gestalt ohnehin gezählt.
Auch auf ukrainischer Seite ist das Thema territorialer Verluste nicht mehr tabu. Präsident Wolodimir Selenskij sagte im Kiewer Parlament, vielleicht müsse die Ukraine »jemanden in Moskau überleben«, damit sie ihre Ziele erreichen und ihr ganzes Territorium zurückerlangen könne. Den Anspruch hierauf werde Kiew aber nie aufgeben, so Selenskij. In einem Interview mit dem trumpnahen US-Fernsehsender Fox News hatte er vor einigen Tagen eingeräumt, dass die Ukraine den Krieg verlieren könne, wenn die US-Militärhilfe vom künftigen US-Präsidenten zurückgefahren werden sollte. Er sei aber optimistisch, dass Trump bereit sein könnte, das Gewicht der USA dafür einzusetzen, Wladimir Putin zur Beendigung des Krieges zu bewegen.
Auch der offizielle Westen weiß offenbar faktisch, dass das für ihn maximal Erreichbare in der Ukraine ein »Einfrieren« des Krieges entlang des Frontverlaufs wäre. Das geht aus der Tatsache hervor, dass Noch-US-Präsident Joe Biden offenbar beschlossen hat, der Ukraine größere Mengen an Antipersonenminen zur Verfügung zu stellen. Ziel sei es, den Vormarsch russischer Truppen in der Ostukraine zu stoppen oder zu verlangsamen. Landminen sind seit 1999 durch die sogenannte Ottawa-Konvention geächtet und dürfen nach dieser weder verwendet noch produziert, gelagert oder weitergegeben werden. Die Ukraine hat den Vertrag ratifiziert, die USA – wie auch Russland – nicht. Das Bundesverteidigungsministerium gab bekannt, dass es der Ukraine weitere vier Panzerhaubitzen sowie 40.000 dazu passende Granaten vom Kaliber 155 Millimeter zur Verfügung stellen werde, außerdem diverse Drohnen und Geräte zur Minenräumung. Der scheidende EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rühmte sich, dass die EU seit Kriegsbeginn der Ukraine eine Million Artilleriegranaten zur Verfügung gestellt habe.
Unterdessen hat die Ukraine offenbar Schläge mit westlichen Langstreckenwaffen gegen Ziele in Russland geführt. Getroffen wurde bereits am Dienstag ein Munitionslager im Gebiet Brjansk etwa 150 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, und am Mittwoch ein nicht näher beschriebenes Ziel im Bezirk Belgorod in 168 Kilometern Entfernung von der Grenze sowie angeblich ein Munitionsdepot im Gebiet Nowgorod südlich von St. Petersburg. Dieses hätte allerdings außerhalb der Reichweite der Atacms-Raketen aus den USA gelegen. Russland bestätigte die Angriffe indirekt und behauptete, sie hätten keinen größeren Schaden angerichtet; die meisten anfliegenden Raketen seien abgeschossen worden. Unabhängig zu überprüfen sind diese Angaben nicht.
Am Mittwoch blieben mehrere westliche Botschaften in Kiew geschlossen, darunter die der USA, Italiens und Griechenlands. Begründet wurde dies mit Meldungen über einen angeblich bevorstehenden heftigen russischen Luftangriff; dieser fand jedoch bis zum frühen Nachmittag nicht statt. Das ukrainische Außenministerium kritisierte den Schritt als »Verbreitung unnötiger Aufregung«.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (21. November 2024 um 09:33 Uhr)Warum sollte Russland Kompromisse eingehen – und vor allem mit wem? Ein »Minsk III« ist für Russland keine Option. Moskaus Strategie verfolgt seit Beginn des Konflikts eine umfassende Zielsetzung, und weder die Ukraine noch der Westen scheinen über eine schlüssige Gegenstrategie zu verfügen. Russland setzt mittlerweile vermehrt auf eine psychologische Kriegsführung, indem es auch tagsüber vereinzelte Raketen landesweit in der Ukraine einsetzt. Dies führt zu häufigen Luftalarmen, die den Alltag und insbesondere die Arbeit in der Ukraine massiv beeinträchtigen. Diese einfache, aber wirkungsvolle Taktik scheint auch voll aufzugehen. Die jüngsten ukrainischen Angriffe mit Langstreckenraketen auf russisches Gebiet werden die militärische Lage an der Front nicht verändern. Zwar schaffen solche Schläge mediale Aufmerksamkeit, doch strategisch sind sie kaum nachhaltig. Die eingesetzten Raketen sind äußerst teuer und in begrenzter Stückzahl verfügbar. Zudem wird ein erheblicher Teil – Berichten zufolge – von der russischen Luftabwehr abgefangen. Angesichts der schieren Größe Russlands und seiner Infrastruktur hätte die Ukraine von Beginn des Krieges an über mehrere tausend solcher Langstreckenraketen verfügen müssen, um eine strategische Wirkung zu erzielen. Mit den derzeit verfügbaren Beständen kann die Ukraine zwar punktuell Angriffe ausführen, die Frontlage wird dadurch jedoch wesentlich nicht beeinflusst.
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