Intermezzo
Von Jürgen RothNach dem Wahlsieg von Donald Trump erzählte eine »Psychotherapeutin« im besten Nachrichtenmagazin aller Äonen, im Spiegel, dass viele Menschen in dieser unserer Demokratie geschockt seien, ihr Leben plötzlich als »banal« empfänden und nicht mehr zur Arbeit gehen könnten. Dies zur hiesigen Premiumpresse und zur deutschen Seelenwissenschaft. Totales Topniveau. Weltbühne und Freud sind erledigt.
Zur gleichen Zeit warnte Olle Schlunz davor, »das Land gegeneinander zu spalten« (interessante Vorstellung), und der mit diversen Klaftern Objektivitätsleugnung, Zelotismus und Narzissmus gesegnete und daher so beliebte wie geliebte Küchentischdiktator und Starkkopf Robby »Haareweg« (Baerbock) mahnte praktisch simultan den »Beginn eines neuen Kraftimpulses« an.
Da wollte ich mich nicht lumpen lassen und begann sofort einen neuen Kraftimpuls, indem ich meine Provinz für eine gute Woche floh und zusammen mit dem Metzgermeister, dem Sozialpädagogen und dem Gefängnispfarrer in eine andere reiste, in die rumänische, genauer: in die Karpaten.
In den Karpaten hat’s herrliche Urwälder und wunderschöne riesige, illegal angelegte Abholzungsareale, außerdem vorzügliches Bier und Schnäpse, die dich unverzüglich in einen Klugbatzen à la Habeck verwandeln.
Rumänien ist eine Herausforderung, man rechnet mit der einen oder anderen »gefährlichen Unsicherheit« (Sebastian Stölting, Grüne), doch es funktioniert das allermeiste.
Nach acht Tagen nahmen wir die S-Bahnlinie 1, die über die pittoresken Stationen Neufahrn, Feldmoching und Hirschgarten führt, vom Flughafen München zum Hauptbahnhof, und die brachte es fertig, während der planmäßig zweiundvierzigminütigen Fahrzeit eine knappe halbe Stunde Verspätung einzuheimsen.
An ein Bier in der Hauptstadt der Bewegung, die rund um den Bahnhof einer Ruine gleicht, war folglich nicht mehr zu denken, und der Regionalexpress gen Nürnberg packte schließlich in regulär neunzig Minuten noch mal eine Dreiviertelstunde drauf. Sie nennen es »Bahnland Bayern«.
Das mit dem Verreisen schenke ich mir fürs erste wieder. Bis auf weiteres verweile ich stur im Dorf, da erreichst du jeden Ort zu Fuß.
Am nächsten Tag begab ich mich zur bierbasierten Rekonvaleszenz ins Seven Bistro. Ich schnappte mir die Bild, die unser Fransel mit dem bleistiftstummelkurzen Schädeldeckenzopf manchmal liegen lässt, und sah, dass sämtliche »Themen«, die in den Frühsendungen von Sat.1 und RTL gackernd abgefackelt werden (ich gucke die hier ab und zu aus Recherche- und Ablenkungserwägungen), Springer diktiert. Wer rodet die deutsche Medienlandschaft radikal und final?
Ich pfefferte den Rotz in die Ecke und brach auf. Draußen qualmte der Große Malaka. Ich sagte »Ciao!« zu ihm, da hob er abwehrend die rechte Hand und befahl: »Du hier warten!«
Er schmiss seine Zigarette in den Aschenbecher, eilte los und bog am Fuße der Straße links ins Schulgässchen ab, in dem er wohnt.
Ich drehte mir eine, und zwei Minuten später war er wieder da. »Ich dir schenken!« sagte er und reichte mir eine 0,2-l-Flasche Ouzo aus Mytilēne. »Is’ gutt! Du heute abend trinken!«
Heimat ist, wo man hängenbleibt.
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Jürgen Roth kann auch sehr einfühlsam sein, wenn es um Vögel geht. Seine Besprechung des Buches von Bernd Heinrich »Flugbahn und Federflaum« vom Dezember 2023 war ein schönes Geschenk für mich. Einmalig auch sein Buch »Kritik der Vögel« mit den einzigartigen Bildern des großen F. W. Bernstein. Bitte weiter so mit Jürgen Roth aus der Provinz in Neuendettelsau und vom »Seven Bistro«!