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Aus: Ausgabe vom 21.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Die Farbe des Rauches

Intrigen und Eierstöcke: Edward Bergers Film über die Wahl eines Papstes
Von Ronald Kohl
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Bombenstimmung bei der Wahl des Papstes

Nach dem Konklave ist vor dem Konklave. Denn nach jeder Papstwahl gibt es mindestens eine Fraktion im Vatikan, die sich sagt: »Das nächste Mal sind wir aber dran!« Auch in dem Kinofilm »Konklave« teilen sich die gut einhundert wahlberechtigten Kardinäle in verschiedene, sich zum Teil feindlich gegenüberstehende Lager. Das unsympathischste von ihnen ist freilich das der Erzkonservativen. Deren Gegenspieler sind die Reformer. Sie sind die Guten. Und es gibt die große Gruppe der Unentschlossenen. Die im Hintergrund wirkenden politischen Motive werden im Grunde gar nicht beleuchtet und scheinen auch nahezu bedeutungslos zu sein. Eine um so größere Rolle spielt bei der im Jahr 2018 angesiedelten Handlung die politische Korrektheit: Frauen, Farbige, Geschlechterneutralität. Vielleicht ging es zu der Zeit tatsächlich schon so zu. Im Jahr 2005 jedoch, bei der Wahl von Ratzinger zum »Wir sind Papst«, während der ein Kardinal heimlich ein Tagebuch führte, ohne das es diesen Film wahrscheinlich gar nicht geben würde, sah die Welt noch ganz anders aus. Nur die Zeremonie selbst war schon die gleiche.

Es gibt bei der Wahl eines Papstes wirklich keinerlei Möglichkeiten, den Vorgang an sich zu manipulieren. Sowohl Stimmabgabe als auch die Auszählung geschehen vor den Augen aller.

Die Öffentlichmachung des Ergebnisses erfolgt bekanntlich per Rauchzeichen. Alle Stimmzettel wandern nach der Zählung in den gusseisernen Ofen mit dem langen Blechrohr, das die einzige Verbindung der Sixtinischen Kapelle zur Außenwelt darstellt. Steigt weißer Rauch auf, bedeutet dies, dass ein Kardinal die erforderliche Mehrheit erhalten hat. Bei Ratzinger wurde erstmals ein zweiter, elektrischer Ofen eingesetzt, und es wurden zudem neuartige Chemikalien verwendet. Im Ergebnis wurde nach dem ersten Wahlgang der Rauch erst weiß, dann schwarz und schließlich grau mit wechselnder Neigung zu hell oder dunkel. Doch ansonsten lief alles reibungslos.

Trotzdem war diese Wahl kein Ausdruck perfekter Demokratie. Denn obwohl in Lateinamerika 40 Prozent aller Katholiken lebten, stellte der »katholische Kontinent« nur 20 stimmberechtigte Kardinäle und wurde damals »noch nicht Papst«.

In »Konklave« siegt der mexikanische Kandidat, allerdings erst im fünften oder sechsten Wahlgang, das ist dann am dritten oder vierten Tag. Das längste Konklave dauerte von 1268 bis 1271, und damit fast drei Jahre. Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war es üblich, dass die Kardinäle während des Konklaves auch in der Sixtinischen Kapelle lebten, trotz unzureichender sanitärer Ausstattung. Nach dem Wecken bildeten sich Tag für Tag endlos lange Schlangen vor den Toiletten (fast war es damals einfacher, den Stuhl Petri zu besteigen, als morgens den Thron).

Die Kardinäle in »Konklave« schlafen gleich ihren realen Vorbildern im Gästehaus des Vatikan. Es ist die Stärke des Films, den Zuschauer das Konklave miterleben zu lassen: den Komfort, aber auch die Ränkespiele. Denen fällt als erster der afrikanische Spitzenkandidat Adeyemi (Lucian Msamati) zum Opfer. Allerdings hatte sein Rivale Tremblay (John Lithgow) auch leichtes Spiel, denn Adeyemi hatte gesündigt; vor dreißig Jahren war er Papa geworden. Tremblay arrangierte es nun, dass die Mutter des Kindes während des Konklaves als Ordensschwester für die Bewirtung der Kardinäle zuständig ist. Kaum dass sie das erste Mal kellnert, steht fest, dass Afrika wieder leer ausgeht.

Gott sei Dank stößt der Leiter des Konklaves wenig später auf die Liste der Bestechungsgelder, die Tremblay seinen dafür anfälligen Kardinalsbrüdern hat zukommen lassen. Damit ist er raus. Umsichtig, wie er war, hatte der alte Papst kurz vor seinem Ableben die Namen der Empfänger auf den Kontoauszügen geschwärzt, sonst hätte das Konklave vielleicht doch noch den Langzeitrekord aus dem Mittelalter gesprengt. So ist nun der Weg frei für den ersten Mexikaner auf dem Heiligen Stuhl. Fast. Denn in letzter Sekunde sickert durch, dass dieser Kandidat vom heimgegangenen Pontifex eine Reise in die Schweiz spendiert bekommen hatte. Nicht zum Wandern. Und auch nicht, um ein Konto zu eröffnen. Sondern um sich operieren zu lassen. Entfernung der Eierstöcke. Der Kardinal hat sich dann aber doch dafür entschieden, so zu bleiben, wie ihn der Allmächtige erschaffen hat. Da sich die Ansichten bei den wichtigsten Leuten in der katholischen Kirche inzwischen so radikal geändert haben, darf er nun eben doch Papst werden.

Hätte ich Regie geführt, würde am Ende des Films ja Rauch in den Farben des Regenbogens aus dem ollen Ofenrohr wabern. Mit Chemie geht alles.

»Konklave«, Regie: Edward Berger, USA/Großbritannien 2024, 121 Min., Kinostart: heute

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