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Aus: Ausgabe vom 21.11.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
IHK ist nicht die Lösung

Tee, Ibu und dann ab zum Dienst

Vorgesetzte fordert von Auszubildender, mit Fieber zu arbeiten. X-Community empört
Von Susanne Knütter
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Beschäftigte sollen sich bei Krankheit nicht so happen, meinen Chefs (Hannover, 12.12.2023)

Seit einiger Zeit wird uns weisgemacht, die Zahl der Krankentage explodiere. Was nicht stimmt. Sie werden seit 2022 nur besser erfasst, wie das Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW Mannheim) Ende Oktober herausfand. Insbesondere durch die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Außerdem spielten starke Erkältungswellen sowie ein bewussterer Umgang mit Atemwegserkrankungen nach der Pandemie eine Rolle. Egal, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist längst ins Visier liberaler Journalisten und Politiker geraten. Laut überlegt wird beispielsweise, im Krankheitsfall nur noch 80 Prozent des Lohnes zu zahlen. Dann würden weniger Lohnabhängige »blaumachen«, heißt es.

Was die Lohnabhängigen von derartigen Vorwürfen halten, konnte man am Dienstag bei X lesen. Eine Auszubildende postete eine Nachricht ihrer Vorgesetzten, in der es heißt: »Hallo Selina, es ist nicht in Ordnung als Azubi krankzumachen, während wir dich brauchen. Eine Erkältung und Fieber kriegt man auch mit Tee und Ibuprofen weg. Das schadet dem Team und Ihrer Ausbildung. Wenn das weiterhin vorkommt, müssen wir ernsthaft über eine Kündigung nachdenken. Bitte nehmen Sie Ihre Verantwortung ernst. Viele Grüße Sarah«.

Die Nachricht »trendete«, und die Reaktionen der X-Kommentatoren waren eindeutig: »Falscher Ausbildungsbetrieb, wenn es so losgeht, braucht man keine Übernahme«, »Über deinen Gesundheitszustand urteilt ein Arzt oder eine Ärztin. Nicht Sarah …«, »Das ist unglaublich frech und dann wird sich gefragt, warum niemand mehr ne Ausbildung macht«, »Das ist auf so vielen Ebenen lost. … Was ein Drecksbetrieb«, »Schön, dass du das schriftlich hast, diese Androhung«, »Hör ich jetzt zum wiederholten Male«, »Klingt nach Gastro« und »Während der Pandemie mussten die Leute ohne Symptome zu Hause bleiben«.

Es gab auch konkrete Handlungsvorschläge wie »Komm kurz zur Arbeit rein, kotz ihnen alles voll und lass den gelben Schein für die ganze Woche da«, und »Weg da«, »Sofort kündigen«, »Direkt den Betrieb wechseln«, »Mach doch noch eine Woche krank«. Einige erinnerten an Arbeitsschutzgesetze, rieten zu einer Rechtsschutzversicherung und einem Anwalt sowie dazu, niemals die private Handynummer im Betrieb einzuführen. Auffällig war, dass wenige auf Betriebsrat und Jugendauszubildendenvertretung oder gar die Gewerkschaft als originäre Interessenvertretung der Lohnabhängigen verwiesen, dafür sehr viele auf die Industrie- und Handelskammer (IHK). Selina solle ihren Betrieb dort melden, lauteten etliche Posts. Was dann passiere, war allerdings bei keinem der Ratgebenden zu lesen.

Möglicherweise liegt es daran, dass die IHK die Organisation der Unternehmen ist. Sie ist gesetzlich vorgeschrieben und soll die Interessen aller Unternehmen einer Region im Blick behalten. Wo die Wirtschaft »im Interesse der Allgemeinheit reguliert werden muss«, kann die IHK als eigene Einrichtung der Wirtschaft die Aufgabe anstelle des Staates übernehmen», heißt es beispielsweise auf der Website der IHK Berlin.

Es stimmt zwar, dass Auszubildende sich bei Konflikten an die Industrie- und Handelskammern wenden können. Sie dürfen sich dabei aber keinen Illusionen hingeben: Im besten Fall kann die IHK zwischen Auszubildendem und Betrieb schlichten. Mehr nicht. Denn der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit gilt auch in der Ausbildung. Einen Hinweis auf die Prioritäten dieser Unternehmenskammern geben die regelmäßig von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) erscheinenden Ausbildungsumfragen. Den Hauptgrund für unbesetzte Ausbildungsplätze (im letzten Jahr konnte jeder zweite Betrieb demnach nicht alle Azubistellen besetzen) sehen die Betriebe und die DIHK wo? Nämlich in den angehenden Arbeitskräften selbst. Es mangele einfach an «geeigneten Bewerbern». Was jedoch «geeignet» bedeutet, hat die DIHK nie definiert. Das legen die Betriebe selbst fest. Solche Betriebe wie der von Selina.

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