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Aus: Ausgabe vom 22.11.2024, Seite 8 / Inland
Abschiebepolitik

»Niemand darf zurückgeführt werden, wenn Folter droht«

Politisch Verfolgter soll trotz Verbot in Türkei abgeschoben werden. Ein Gespräch mit Anna Magdalena Busl
Interview: Henning von Stoltzenberg
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In der Türkei droht Muzaffer Dogan Folter

Ihrem Mandanten Muzaffer Dogan wird von der Ausländerbehörde Ennepe-Ruhr-Kreis die Abschiebung in die Türkei angedroht, obwohl ihm bereits vor vielen Jahren ein Abschiebeverbot zuerkannt wurde. Wie ist das möglich?

Meinem Mandanten droht als politisch Verfolgtem in der Türkei Folter. Erst kürzlich stellte erneut ein Bericht, in dem Fall der türkischen Organisation TIHV, klar, dass Folter in der Türkei auf der Tagesordnung steht. Was also seit vielen Jahren bekannt und bewiesen ist, wird damit erneut bestätigt. Diese Tatsache ist auch den deutschen Behörden bekannt. Damit aber gilt der Grundsatz der Nichtzurückweisung – ein völkerrechtlicher Grundsatz. Dieser Grundsatz bedeutet: Niemand darf in das Land zurückgeführt werden, in dem ihm Folter droht. Der Europäische Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass auch keine Rückkehrentscheidung in dieses Land angedroht werden darf. Eine gegen Herrn Dogan vor Jahren ergangene Abschiebungsandrohung musste daher aufgehoben werden.

Wie ist das juristisch möglich?

Mit dem zynischerweise als »Rückführungsverbesserungsgesetz« bezeichneten Gesetz von Anfang des Jahres hat der Gesetzgeber von der sogenannten »Opt out«-Regelung Gebrauch gemacht. Die europarechtlich geltende Rückführungsrichtlinie, die untersagt, dass die Rückführung in ein Land, in dem zum Beispiel Folter droht, nicht angedroht werden darf, soll im Falle von Drittstaatsangehörigen, die aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, nicht gelten. So bei Herrn Dogan, da dieser wegen Mitgliedschaft in einer sogenannten terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt wurde. Erneut wird daher nun von der Ausländerbehörde geprüft, ob eine Abschiebungsandrohung in die Türkei ergehen kann. An der ernsthaften Gefahr der Folter hat sich aber nichts geändert, denn das türkische Regime geht nach wie vor gegen jede linke Opposition vor.

Sie bezeichnen die Abschiebeandrohung als »verfassungswidrig« und »europarechtswidrig«. Können Sie das ausführen?

Die Bundesrepublik ist an das Völkerrecht und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gebunden. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung, als Grundrecht in Artikel 18 GRC in Verbindung mit Artikel 33 GFK sowie in Artikel 19 Absatz 2 GRC normiert, gilt absolut. Ich halte die neue Regelung aus dem »Rückführungsverbesserungsgesetz« für klar dagegen verstoßend. Sollen Menschen, auch wenn sie Straftaten begangen haben, durch Rückführung der Gefahr der Folter ausgesetzt werden dürfen? Damit wird einmal mehr an Grundprinzipien gesägt, die nicht zuletzt auch, wie die Genfer Flüchtlingskonvention, unter dem Eindruck des deutschen Faschismus entstanden sind.

Inwieweit hat der Versuch, Herrn Dogan abzuschieben, aus Ihrer Sicht mit dem Umstand zu tun, dass er ein ehemaliger politischer Gefangener ist?

Weil Herr Dogan ein ehemaliger politischer Gefangener ist, erging gegen ihn eine Ausweisungsverfügung, da die Gefahr bestünde, dass er auch weiterhin Straftaten begehen würde. Dazu ist zunächst zu sagen: Herr Dogan wurde verurteilt, obwohl ihm keine einzige Straftat zur Last gelegt wurde, sondern einzig, weil er seine demokratischen Rechte ausübte – aber, so die Verurteilung, als Mitglied einer »terroristischen Vereinigung«, der linken DHKP-C. Die Ausweisungsverfügung wirkt wie eine doppelte Bestrafung: Verbot, arbeiten zu gehen, Verbot, sich frei zu bewegen; über Jahre nur im Duldungsstatus. Und jetzt soll er auch noch der Gefahr der Folter ausgesetzt werden?

Was sind die nächsten Schritte, um die Abschiebung abzuwenden?

Wir werden natürlich alles tun, um gerichtlichen Rechtsschutz zu erhalten. Und darüber hinaus muss jedem klar sein: Wenn Prinzipien wie der Grundsatz der Nichtzurückweisung durchlöchert und relativiert werden, dann ist dies eine Gefahr für jede und jeden.

Anna Magdalena Busl ist Rechtsanwältin in Bonn

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