Aufzug für Werkserhalt
Von Oliver RastEs passt zur Stimmung: dunkelgraue, tiefhängende Wolken samt Schneegraupel. Am Donnerstag morgen zogen rund 6.000 Beschäftigte vom Stammwerk von Volkswagen (VW) vor die Arena des VfL Wolfsburg. Aus Protest. Nicht wegen der schlappen Leistung der Kicker, wegen der frechen Bosse in der Konzernzentrale. Ein Aufzug als Prolog zum Auftakt der dritten Runde für einen neuen Haustarifvertrag. Verhandelt wird im großen Saal der Spielstätte.
Vorneweg liefen VWler mit Totenmaske, Sensen und schwarzen Umhängen. Auf einem Grabstein aus Pappmaché mit kreideweißem Firmenlogo und Kreuz steht: Volkswagen-Werke, dazu ein Datum. Der 2. September dieses Jahres; der Tag, an dem der VW-Vorstand um CEO Oliver Blume seine Hiobsbotschaft verkündet hatte: Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen bei der Kernmarke VW, nichts sei länger ausgeschlossen, die Beschäftigungssicherung aufgehoben. Ende Oktober legten die Bosse nach, fordern seitdem in der häuslichen Tarifrunde ein zehnprozentiges Einkommensminus für die rund 120.000 Kollegen. Denn die Arbeitskosten müssten runter, nur so ließen sich Jobs sichern, tönte VW-Verhandlungsführer Arne Meiswinkel.
Verkehrte Rollen dann am Mittwoch. IG Metall (IGM) sowie VW-Gesamt- und Konzernbetriebsrat präsentierten ihrerseits einen »Zukunftsplan« für den automobilen Riesen. Unter dem Strich könnten damit die Personalkosten um 1,5 Milliarden Euro sinken. »Weil nachhaltige Lösungen her müssen, gehen wir nun in die Offensive und legen ein Lösungskonzept vor«, erklärte Betriebsratschefin Daniela Cavallo gleichentags. Für Gewerkschaft und Belegschaftsvertretung stünden Beschäftigungssicherung und Perspektiven für alle VW-Standorte im Vordergrund. Deshalb die Offerte für einen Einkommensverzicht. Die Idee von IGM und Betriebsrat: VW übernimmt den Tarif aus dem jüngsten Pilotabschluss der Metall- und Elektroindustrie. Das Lohnplus von 5,1 Prozent in zwei Stufen bekommen die Malocher nicht ausgezahlt, sondern landet in einem Fonds. Im Gegenzug müsste die Konzernspitze Jobs der Stammbelegschaften in den sechs BRD-Standorten sichern, Werksschließungen abwenden.
Wie reagierten Blume und Co. auf ihre »Sozialpartner«? Verhalten. »Jeder Vorschlag hilft, der einen Beitrag zur Zielerreichung leistet«, wurde Personalvorstand Gunnar Kilian am Mittwoch in einem NDR-Onlinebeitrag zitiert. Die Vorschläge müssten nun finanziell geprüft werden.
Zurück zum Protest vor dem dritten Tarifgespräch. Die Demonstration sei »nur ein Vorgeschmack auf das, was ab Dezember passiert, wenn das Unternehmen unsere konkreten Lösungsvorschläge nicht ernst nimmt«, so Cavallo vor den Versammelten am Stadion. Ende November endet die Friedenspflicht, dann sind Warnstreiks möglich. Und IGM-Verhandlungsführer Thomas Gröger sprach von einer »allerletzten Chance für Volkswagen« auf eine Einigung vor Weihnachten. Ansonsten drohe eine Eskalation, würde ein Arbeitskampf vorbereitet. Markige Worte für einen, der tags zuvor Arbeiter am Band auf Nullrunde und Reallohnverlust eingestimmt hat.
Davon unabhängig, selbst die SPD schaltet in eine Art Kampfmodus. Katja Mast, parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Bundestagsfraktion, meinte am Donnerstag via dpa: Die Form der Mitbestimmung in Deutschland »ist weltweit einzigartig.« Managementfehler dürften nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. »Wir als SPD werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen«, so Mast weiter.
Eine Ankündigung zur Ermutigung? Zahlreiche Beschäftigte dürften diesen parlamentarischen Zwischenruf eher als Drohung empfinden. Und lieber auf die eigene Kraft setzen. Werksübergreifend. Vor dem Eingang der Arena zum Verhandlungssaal hat das am Donnerstag gut geklappt. Kollegen aus allen VW-Fabriken solidarisierten sich, marschierten, skandierten, zündeten Bengalos für: »Zukunft statt Kahlschlag«, für: »Alle Werke müssen bleiben!« Bloß, was nun? Warnstreiks? Unklar. Bis jW-Redaktionsschluss war kein Ergebnis der dritten Tarifrunde bekannt.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Friedrich A. (22. November 2024 um 05:51 Uhr)Auf dem Grabstein stand nicht »Werke«, sondern »Werte«.
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