Pragmatischer Wendehals
Von Frederic SchnattererEin Schreihals wird vom Pragmatismus eingeholt. Am Dienstag kam es zum ersten Handschlag zwischen dem argentinischen Präsidenten Javier Milei und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping. Am Rande des G20-Treffens im brasilianischen Rio de Janeiro sprachen die beiden Staatschefs rund eine halbe Stunde miteinander. Im Zentrum der Zusammenkunft, die laut Medienberichten eher kühl und reserviert abgelaufen sein soll, standen Handels- und Wirtschaftsfragen.
Im Anschluss an das Treffen verkündete der argentinische Präsidentenpalast Casa Rosada, es sei über eine »Stärkung unserer Handelsbeziehungen« und die »Entwicklung gemeinsamer Projekte, die beiden Volkswirtschaften zugute kommen« gesprochen worden. Die Vizeaußenministerin Chinas, Hua Chunying, ließ über »soziale Medien« mitteilen: »Präsident Xi drückte seine Bereitschaft aus, mit Präsident Milei zusammenzuarbeiten, um die dauerhafte und stabile Entwicklung der umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen China und Argentinien zu fördern.«
Auch wenn genaue Ergebnisse nicht bekannt wurden, ist das Treffen erstaunlich. Noch im Wahlkampf hatte Milei erklärt, er werde »keine Geschäfte mit China machen, denn ich verkaufe weder meine Moral, noch mache ich Abkommen mit Kommunisten«. Im September, also noch kein Jahr im Amt, bezeichnete der Ultrarechte die Volksrepublik hingegen plötzlich als »sehr interessanten Handelspartner«. Nun heißt es, der argentinische Präsident werde im kommenden Jahr zum Gipfel von China und der Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) nach Beijing reisen.
Hintergrund sind harte wirtschaftliche Fakten. Argentinische Medien sprechen daher, den deutschen Begriff nutzend, von »Realpolitik«. China ist nicht nur der zweitwichtigste Handelspartner Argentiniens – 8,5 Prozent aller Exporte gehen in die Volksrepublik, 17,9 Prozent der Importe kommen von dort. Auch für die finanzielle Stabilität des dauerklammen Landes ist Beijing zentral. Durch einen Reserventausch der Zentralbanken beider Länder, einen sogenannten Swap, sind derzeit fünf Milliarden US-Dollar gebunden. Die Milei-Regierung braucht eine Verlängerung der Vereinbarung bis 2026, um fällige Tranchen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen zu können.
Dass die Volksrepublik im Gegenzug bei eigenen Prioritäten auf Entgegenkommen pocht, ist wenig überraschend. Besonders im Interesse Beijings ist die Genehmigung des Weiterbaus zweier Wasserkraftwerke in der argentinischen Provinz Santa Cruz. Seit fast einem Jahr herrscht dort Stillstand. Die Unternehmen, die mit dem Bau beauftragt sind, bemängeln fehlende Finanzierung, die wiederum von einer Übereinkunft der argentinischen und der chinesischen Regierung abhängt.
Und auch mit dem wichtigsten Handelspartner Brasilien wurde gesprochen. Bereits am Montag unterzeichneten der argentinische Wirtschaftsminister Luis Caputo und der brasilianische Energieminister Alexandre Silveira ein Abkommen, das die Lieferung von täglich 30 Millionen Kubikmeter Erdgas aus der nordpatagonischen Schieferformation Vaca Muerta nach Brasilien ab spätestens 2030 vorsieht. Noch in diesem Jahr sollen drei Millionen Kubikmeter Gas über bolivianische Gasodukte geliefert werden. Denn: Noch fehlt die nötige Direktverbindung zwischen Argentinien und Brasilien. Vaca Muerta beherbergt die zweitgrößten unkonventionellen Erdgasvorkommen der Welt. Seit 2013 werden diese per Fracking gefördert, was mit enormen sozialen Verwerfungen und Umweltbelastungen einhergeht. Noch bis vor kurzem war Argentinien auf Gaslieferungen aus anderen Ländern, insbesondere Bolivien, angewiesen.
Mit dem Amtsantritt von Milei am 10. Dezember 2023 waren die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten merklich abgekühlt. Der argentinische Präsident hatte seinen sozialdemokratischen Amtskollegen Luiz Inácio Lula da Silva wiederholt beleidigt. Das erste persönliche Aufeinandertreffen der beiden Politiker am Montag war entsprechend spannungsgeladen und hatte rein protokollarischen Charakter. Jedoch wurde in den vergangenen Tagen deutlich: Milei agiert zunehmend nach dem Motto »Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?«.
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