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Aus: Ausgabe vom 22.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Fernsehen

Ein Traum von einem Mann

»Unser Sandmännchen« wird 65
Von Hagen Bonn
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Der Sandmann hatte uns auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gemüt sich einnistet

Man kann sich dem Sandmännchen weder kultursoziologisch noch medienpädagogisch nähern, man versteht die Figur nur, wenn man Kind ist. Erwachsene Kindsköpfe tun es ersatzweise auch. Manche meinen heute, der TV-Superstar des Ostens stehe für eine kindlich-sozialromantische Figur, die den Ostkindern das gab, was sie nie erleben sollten: Märchenlandschaften, Weltall, einen Fuhrpark … Ja, von letzterem konnte Batman nur träumen …

Für uns DDR-Kinder war der Sandmann einfach nur ein zuverlässiger Freund, ein Kumpel mit ohne Nasenlöcher. Einer, der unsere Phantasien nachbaute. Hatte das Kinderkollektiv vormittags im Kindergarten gerade Dutzende Weltallraketen aus dem Sandkasten in die unendlichen Weiten abfliegen lassen, kommt unser Superheld beim »Abendgruß« mit einer Raumkapsel daher. Zufall? Tags zuvor war es die Kutsche einer Märchenprinzessin, und es war genau die, von der Tante Renate im Kindergarten aus dem dicken Buch vorgelesen hatte. Und wenn nach dem Einflug des Sandmanns die Gute-Nacht-Geschichte kam, hofften wir inständig, es möge bitte der liebe Pittiplatsch auftreten.

Aber, »ach du meine Nase«, wenn es Herr Fuchs und Frau Elster waren, zeigten wir lachend mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die flimmernden Schwarzweißbilder und wussten, wer Frau Elster in Wirklichkeit war. Es war die Kindergartentante, unsere Renate. »Hagen, iss diese eine Kartoffel noch auf. Das schaffst du. Morgen soll doch die Sonne scheinen.« Nein! Denn ich war der Herr Fuchs: »Hassa-ssassa- ssass, Kreuzspinne und Kreuzschnabel! Kann man nicht einmal in Ruhe eine Kartoffel begnadigen?« Und hin und wieder schaltete ich am TV-Gerät den Sender um. Man musste damals dafür aufstehen! War leicht, Mama kam oft spät von der Arbeit und Papa spülte das Geschirr vom Abendbrot. Um es kurz zu machen: Der Westsandmann sah aus, als sei ihm eben ein Döner aus der Hand gefallen, und nur die Kinder vom Bahnhof Zoo schauen zu. Einschlafen konnte mit dem Zombie niemand.

Nun ja, 65 Jahre Sandmännchen sind das jetzt, Erstausstrahlung war der 22. November. Aber mal ehrlich, was soll der gute Mann heute noch ausrichten? Man versucht sich bei den Demenzsendern (MDR, NDR, RBB) derzeit an Neuproduktionen. So geschehen diesen Sommer: Pünktlich zur Fußball-EM transportierte unser Sandmann mit einem »Tortransporter« ein äh … Tor zum Fußballplatz. Wow! Da verstehe ich die neue Elterngeneration völlig: Als Einschlafhilfe für die Kleinen nutzen die inzwischen Apps, und für die Härtefälle gibt es eben Ritalin. Das Umfeld ist kaputt, verstehen Sie? Und Sand in die Augen streuen, funktioniert heuer nur noch bei Erwachsenen. Krieg, Armut, Baerbock … Welches Fahrzeug will man denn für den Sandmann dafür bereitstellen? Einen Panzer? Und die Kinder am Straßenrand winken dann Frau Flak-Zimmermann zu? Oder einen ausgefallenen Regionalexpress? Etwa ein »Aida«-Kreuzfahrtschiff mit Noro­viren an Bord?

Niemals! Unser Sandmann fuhr gern Trabbi. Verstehen Sie den Zusammenhang? Die älteste Kindersendung der Welt ist in die Jahre gekommen, da hilft auch nicht, dass in Schweden und Norwegen »Unser Sandmännchen« John Blund heißt und dass er selbst in arabischen Ländern zu sehen war. Wer trotzdem mal reinschauen will, kann das am Geburtstagsabend mit »Die Reise zur Traumsandmühle«. Und bevor ich es vergesse: Alles Gute zum Geburtstag, lieber Sandmann.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Norbert S. aus München (22. November 2024 um 05:55 Uhr)
    Sehr nice geschrieben :) Bis auf die – sicherlich augenzwinkernd gemeinte – Darstellung von Kindern als »homogene Gruppe«, kann ich vieles aus eigener Erfahrung bestätigen. So hatte ich z. B. »Schnatterinchen und Co.« als äußerst verwirrend empfunden, nur schwer ertragen können, genau wie die mit der Ausstrahlungsuhrzeit täglich einhergehende implizite Drohung, danach ins öd-langweilige Bett zu müssen. Zum Glück lernte mensch mit spätestens sieben Jahren dann ja lesen, sodass die Zeit bis zur Wirkung des Schlafsandes überbrückt werden konnte. Den West-Sandmann hatte ich zwar auch gern geschaut, aber im Detail erinnern kann ich mich an den bezeichnenderweise so gut wie gar nicht. Worauf ich mich beim Ost-Sandmann immer besonders gefreut hatte, wurde im Artikel leider nicht einmal erwähnt: Die einmal wöchentlich ausgestrahlten Sachthemen. Es stimmt aber natürlich: Eine an die heutige Zeit angepasste 1:1-Übertragung dieses Formats würde bei vielen Kiddies sicherlich eine Menge Albträume auslösen. Bei Erwachsenen ja auch, weshalb die Ausstreuung von einem ganz anderen, realen, destruktiv-manipulativ-vernebelnden »Sandes« in deren Augen von Tagesschau und Co. übernommen werden muss.

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