»Im Schnitt jeden Tag ein Femizid«
Von Annuschka EckhardtWie viele Femizide gab es in Berlin in diesem Jahr?
In Berlin zählen wir tatsächlich bereits 32 Femizide im laufenden Jahr. Das ist eine sehr viel höhere Zahl als in den vergangenen Jahren. Die Anzahl der Femizide steigt auch in der gesamten BRD: 360 Femizide sind 2023 in Deutschland begangen worden. Wir haben viel davon gesprochen, dass jeden zweiten oder dritten Tag eine Frau aufgrund ihres Geschlechts umgebracht wird. Doch das stimmt nicht mehr: Es passiert im Schnitt jeden Tag ein Femizid. Das liegt nicht nur an zunehmender Gewalt, sondern auch daran, dass bei Gewaltschutz und Prävention plötzlich die Gelder fehlen. Das hat dramatische Auswirkungen auf Schutzplätze in Frauenhäusern.
Können Sie anhand eines Beispiels staatliches Versagen aufzeigen?
Erst vor einigen Monaten, am 30. August, passierte in Berlin-Lichtenberg ein Femizid, an Nikki,
einer 28jährigen Mutter von zwei Kindern. Sie war am Tag bevor sie ermordet wurde beim Familiengericht, um den Täter wegen Stalkings anzuzeigen und ein Annäherungsverbot zu erwirken. Sie wurde abgewiesen. Ihr wurde nicht geholfen und das Ergebnis davon ist, dass sie am Tag danach in ihrer eigenen Wohnung ermordet wurde. Das ist kein Einzelfall: Nikkis Geschichte teilen so viele Frauen, die versuchen, Schutz zu suchen, aber abgewiesen, ignoriert und nicht ernst genommen werden. Der Staat versagt also immer wieder und schützt Frauen nicht.
Warum sind der Regierung Frauenleben so wenig wert?
Die Regierung versucht sich damit zu schmücken, Frauen schützen zu wollen. Die
Ampelkoalition als eine vermeintlich progressive Regierung hat sehr viel davon gesprochen,
dass sie die Istanbul-Konvention endlich in die Tat umsetzen wollen. Doch mehr als leere Worte sind das nicht. Denn es ist nicht im Interesse des deutschen Staats, uns Frauen zu schützen. Im
Gegenteil: Ohne unsere Unterdrückung würde dieses System überhaupt nicht funktionieren.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass immer weiter gekürzt wird, wenn es um Bildung und
Soziales geht, aber vor allem, wenn es um Frauenhausplätze geht. In Berlin gibt es acht
Frauenhäuser, das sind viel zu wenige. Wir sehen, dass der Bedarf von Jahr zu Jahr steigt, die
Gewalt gegen Frauen zunimmt, aber Schutzplätze immer weniger werden. Millionen von Euros werden in die Aufrüstung der Polizei, in neue Polizeiwachen in Berlin oder in die Umzäunung von Parks investiert. Wenn es aber darum geht, Frauen zu schützen, fehlt das Geld.
Gewalt gegen Frauen wird gerne für rassistische Hetze instrumentalisiert. Warum?
Den angeblichen Schutz von Frauen nutzen gerade alle größeren Parteien, um ihre rassistische Hetze voranzutreiben. Doch wen wollen sie mit ihrer Propaganda schützen? Erst letzte Woche wurde eine Frau aus einem Frauenhaus abgeschoben. Das ist das Ergebnis der rassistischen und menschenverachtenden Politik der Regierung. Denn sie haben kein Interesse an unserem Schutz, sondern wollen uns Frauen spalten. Doch wir lassen uns nicht spalten, denn wir wissen, dass der Kampf für unsere Freiheit ein antifaschistischer Kampf sein muss, für die Freiheit aller Frauen und gegen eine rassistische, frauenfeindliche Politik. In dieser Tradition
stehen wir auch mit Zora als einer Organisation, die seit ihrer Gründung den Kampf gegen das Patriarchat mit dem Kampf gegen Rassimus verbindet.
Was fordern Sie?
Unser Ziel ist ein Ende der Gewalt gegen Frauen. Wir kämpfen gegen Femizid und Vergewaltigung – denn wir wollen leben! Wir brauchen einen flächendeckenden Ausbau von Frauenhausplätzen. Selbstbestimmung ist unser Recht, wir wollen über unsere Körper frei entscheiden können. Wir rufen alle Frauen auf, am 25. November mit uns auf die Straße zu gehen – gegen Gewalt, Femizide und rassistische Hetze. Bundesweit werden dazu Aktionen stattfinden, in Berlin wird es schon am Sonntag eine Vorabenddemo unter dem Motto »Von Trauer zu Wut zu Widerstand« geben. Sie beginnt um 17 Uhr an der Frankfurter Allee.
Rosa Lavinia ist aktiv bei Zora
Siehe auch
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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