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Aus: Ausgabe vom 23.11.2024, Seite 5 / Inland
Kapitalverbrechen

Geleimte Aktionäre

Wirecard-Skandal: Auftakt des Musterverfahrens wegen Schadenersatzforderungen Zehntausender Anteilseigner
Von Ralf Wurzbacher
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Massenauflauf am Freitag vormittag im improvisierten Gerichtsgebäude am Münchner Flughafen

An diesem Prozess ist alles groß. Die Zahl der Kläger, der Anwälte, der Streitwert, vor allem: die Niedertracht der Beklagten. Auch räumlich beansprucht die juristische Aufarbeitung des Wirecard-Skandals Platz, der den üblichen Rahmen sprengt. Das Bayerische Oberste Landesgericht musste eigens die historische Wappenhalle des alten Münchner Flughafens anmieten, heute eine »Eventlocation«. Das passt zum Fall, der als eine der spektakulärsten Pleiten der deutschen Wirtschaftsgeschichte gilt. Am 18. Juni 2020 brach der Dax-Konzern Knall auf Fall zusammen, nachdem aufgeflogen war, dass auf Treuhandkonten in Asien vermutete 1,9 Milliarden Euro fehlten.

400 Menschen fanden sich am Freitag morgen zum Auftakt des sogenannten Kapitalanlegermusterverfahrens (KapMuG) ein, stellvertretend für laut Medienberichten rund 50.000 Aktionäre, die den Bankrotteuren des früheren Finanzdienstleisters auf den Leim gegangen waren. Gemeinsam wollen sie sich 8,5 Milliarden Euro zurückholen, wobei zunächst nur der Antrag eines hessischen Klägers verhandelt wird. Erst wenn am Ende zu seinen Gunsten geurteilt und die Haftung der Angeklagten festgestellt würde, könnten auf dieser Basis alle anderen Geschädigten individuell ihre Ansprüche geltend machen. Einen davon, Kleinanleger Robert Schuster aus Niederbayern, ließ der Bayerische Rundfunk (BR) am Freitag zu Wort kommen: »Entscheidend ist, dass hier dann auch mal Gerechtigkeit rauskommt, dass die Leute sehen: Nein, man kann nicht alles machen und es ist auch nicht alles erlaubt.«

Angeklagt sind ein knappes Dutzend Personen und Unternehmen. Die Prominentesten sind der Exkonzernvorstand Markus Braun und die Kapitalprüfungsgesellschaft Ernest & Young (EY). Die habe beim Prüfen der Bilanzen jahrelang zwei Augen zugedrückt und so vorsätzlich dazu beigetragen, die finanzielle Schieflage bei Wirecard zu verschleiern, lautet der Vorwurf. Mehreren Exmanagern wird zur Last gelegt, falsche Geschäftsberichte vorgelegt zu haben. Zu klären ist unter anderem die Frage, ob ihnen bekannt war, dass vermeintliche Guthaben in Milliardenhöhe auf Treuhandkonten aus dem sogenannten Drittpartnergeschäft gar nicht existierten. Mit der ersten mündlichen Verhandlung am Freitag wurde noch nicht inhaltlich in den Prozess eingestiegen. Zunächst ging es darum, welche »Feststellungsziele« zulässig sind, ob zum Beispiel die EY-Testate überhaupt Gegenstand des Verfahrens sein können. Wäre dem nicht so, könnte Gesellschaft gar nicht belangt werden.

Entschädigung stünde den Aktionären zu, wenn sie vorsätzlich durch falsche Informationen zum Kauf der Aktie verleitet wurden. Im Fall Wirecard waren dies mutmaßlich frei erfundene Gewinne, bestätigt durch die EY-Kontrolleure. Das Zivilverfahren läuft getrennt vom Strafprozess, in dem sich Braun und Mitangeklagte seit Dezember 2022 verantworten müssen. Anfang September verurteilte das Landgericht München neben Braun zwei weitere Exvorstände zur Zahlung von 140 Millionen Euro, weil sie für den Ausfall eines Darlehens sowie einer Schuldverschreibung verantwortlich gewesen seien.

Wie lange das KapMuG-Verfahren laufen wird, steht in den Sternen. Marc Liebscher von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger monierte, dass schon viel Zeit ins Land gegangen sei, auch wegen der »wurstigen Art« des Landesgerichts, »dieses Verfahren voranzubringen«. Musterklägeranwalt Peter Mattil äußerte sich gegenüber dpa zuversichtlich, dass ein vergleichsweise »schnelles Urteil« möglich sei. Laufe es gut, »könnte das in der ersten Instanz in drei Jahren erledigt sein.«

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