Vollendung eines Neoliberalen
Von Arnold SchölzelHans-Werner Sinn war bis 2016 Präsident des Münchner Ifo-Instituts und ist vehementer Verfechter jedes neoliberalen Blödsinns. Seine Kompetenz ist hinreichend in einem seiner Kommentare zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 erfasst: Im Tagesspiegel war am 27. Oktober jenes Jahres von ihm zu lesen, in der Weltwirtschaftskrise von 1929 »hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager.«
Mit Sprüchen dieser Art wurde Sinn hierzulande weltberühmt. Am Donnerstag räumte ihm die FAZ eine ganze Seite ein: »Wir Geisterfahrer. Die deutsche Krise und die nötige Kurskorrektur der deutschen und europäischen Klimapolitik«. Sinn hat letztere als Wurzel allen Übels ausgemacht. Krieg? Welcher Krieg?
Bemerkenswert an seinem Text sind allein die Angaben zur Tiefe der gegenwärtigen Wirtschaftskrise. Deutschland sei »an einem historischen Wendepunkt«, bei dem »seine Existenz als global tätige Wirtschaftsnation auf dem Spiel stehe«. Nun gilt zwar, dass der bevorstehende Untergang des Kapitalismus durch Staatseingriffe der Kehrreim des Bürgerökonomen und regierender US-Milliardäre ist, so wie das Klagen übers Humpeln der Geschäfte das Lied des Kaufmanns – aber Sinns Zahlen sind beeindruckend: Seit sieben Jahren sei die Deindustrialisierung hierzulande im Gange. Autoindustrie: Produktionsrückgang seit 2018 um 17 Prozent, Chemieindustrie um 15 Prozent, gesamte Industrieproduktion um 13 Prozent. Die Ursachen laut Sinn: »Die kriegsbedingte Durchbrechung der Handelsketten mit dem Rohstoff- und Energielieferanten Russland« und »demographische Verwerfungen« – Stichwort »Kinderarmut der Deutschen«, nicht etwa Armut von Kindern. Das Bildungssystem bestehe keinen PISA-Test, und vor allem: der »überbordende Sozialstaat«.
Für ihn liegt die wichtigste Erklärung dafür beim »Energiesektor, speziell der Klimapolitik«. Sinn verschwendet keine Zeile daran, dass diejenige Partei, die bis zur Zerstörung der hiesigen Industrie angeblich aus Klimaschutzgründen Energiepolitik betreibt, auch die ist, die am wildesten zum Krieg gegen Russland mobilisiert. Bei Sinn gibt’s Stehsatz. Niemand folge beim Atomausstieg: »Wir sind der Geisterfahrer auf der Autobahn«. Klimaneutralität bis 2045: »vollkommen unmöglich«. Aber dann lenkt ihm gerade noch rechtzeitig die »Zeitenwende« die Schreibhand, er setzt fort: Zumal »die Kriegsgefahr eine Unmlenkung der verfügbaren Investitionsmittel in ganz andere Sektoren verlangt.« Krieg ist alternativlos.
Nach kurzem Aufmerken macht der Pensionär aber so weiter wie immer: In Deutschland habe es »eine Revolution von oben gegeben, nur dass viele Leute es noch nicht gemerkt haben«. Ihnen sei erzählt worden, »dass man die Energiewende für eine Kugel Eis kaufen könne, dass die Sonne keine Rechnung schicke und dass man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könne: Das Klima retten und zugleich eine neue, grüne Energiewirtschaft aufbauen, die die Wettbewerbsfähigkeit und den Lebensstandard des Landes erhöhe«. Wind- und Solarstrom sollen einst fast die gesamte Anpassungslast bewältigen, haben aber derzeit nach offiziellen Angaben »nur einen Anteil von knapp sieben Prozent am Primärenergieverbrauch«, also einschließlich Heizungen, Prozesswärme und Verbrennungsmotoren. Die EU unterstelle bei Elektroautos einen CO2-Ausstoß von null, »obwohl deren Auspuff nur ein bisschen weiter im Kohle- oder Gaskraftwerk liegt.«
Sinn hat mitbekommen: Die Krise erhielt durch Regierungsmurks einen gewaltigen Schub. Das lässt ihn die verschlissenen Züchtigungsinstrumente des Neoliberalismus schwingen. Dessen Vollendung aber ist die Kriegswirtschaft Habeckschen Zuschnitts. Gegen die hat Sinn nichts, der Rest ist Gefuchtel.
Die Krise erhielt durch Regierungsmurks einen gewaltigen Schub. Das lässt ihn die verschlissenen Züchtigungsinstrumente des Neoliberalismus schwingen. Dessen Vollendung aber ist die Kriegswirtschaft Habeckschen Zuschnitts. Gegen die hat Sinn nichts, der Rest ist Gefuchtel.
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