75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Montag, 25. November 2024, Nr. 275
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 25.11.2024, Seite 6 / Ausland
»Pegasus«-Affäre

Einschüchterung gescheitert

Der spanische Journalist Ignacio Cembrero gewinnt erneut gegen den marokkanischen Staat – doch er befürchtet weitere juristische Schritte
Von Carmela Negrete
6.jpg
Im Visier der marokkanischen Monarchie: Der spanische Journalist Ignacio Cembrero lässt sich nicht den Mund verbieten (o. D.)

Das Madrider Landgericht hat vergangenen Montag eine Klage des marokkanischen Staates gegen den Journalisten Ignacio Cembrero (70) in zweiter Instanz abgewiesen. Cembrero, ein Experte für den Maghreb, hat jahrelang unter anderem in Marokko gelebt und ist der dortigen Regierung ein Dorn im Auge. Rabat hatte den Journalisten verklagt, um ihn dazu zu zwingen, seine Aussage zurückzunehmen, er sei von den marokkanischen Geheimdiensten mit Hilfe der »Pegasus«-Spyware ausgespäht worden. Rabat hatte eine sogenannte Actio jactantia eingereicht, eine veraltete Klageform, wie sie in modernen Rechtssystemen kaum noch Anwendung findet. Das Gericht stellte fest, dass Cembreros Vorwürfe in bezug auf »Pegasus« gut begründet seien und daher unter die Informationsfreiheit fielen.

Cembrero erklärte am Donnerstag nachmittag gegenüber jW am Telefon, dass er erwartet habe, dass die spanische Justiz ihm Recht zuspricht: »Es gab bereits im letzten Jahr ein erstes Urteil in erster Instanz, das die Klage abwies, und nun hat das Berufungsgericht diese Entscheidung vollständig bestätigt.« Doch Cembrero glaubt nicht, dass die Sache damit abgeschlossen ist: »Die Frage ist, ob das Königreich Marokko jetzt vor den Obersten Gerichtshof zieht.« Für ihn ist das nahezu sicher: »Ich vermute das, weil ich gesehen habe, was in Frankreich passiert ist. Dort gingen sie bis vor den Kassationsgerichtshof, der dem Obersten Gerichtshof in Spanien entspricht.« Der Journalist hofft, auch in weiteren Instanzen Recht zu behalten.

Auf die Frage, ob er glaube, dass solche Prozesse die Glaubwürdigkeit Marokkos beschädigten, antwortet Cembrero, dass dies für Rabat wohl keine Rolle spiele. Ziel sei vielmehr, intern ein Signal von Stärke an die Opposition zu senden und gleichzeitig andere Journalisten abzuschrecken, heikle Informationen zu veröffentlichen: »Ich denke, es geht auch darum, Kollegen einzuschüchtern – sei es mit Klagen oder Anzeigen. Selbst wenn man gewinnt, kostet es Zeit und Geld, weil man Anwälte engagieren muss und so weiter.« Er selbst habe Glück gehabt, dass die Medien, für die er gearbeitet habe, die Anwaltskosten übernommen hätten, so der Spanier. »Aber das ist nicht immer so – und es kann teuer werden.« Auch der Arbeitsaufwand werde nicht erstattet: »Es braucht viel Vorbereitung, manchmal die Suche nach Zeugen, das Sichten und Übersetzen von Dokumenten und ähnliches.«

Marokko wird in Europa als demokratisches Land präsentiert, da dort Wahlen stattfinden. In Wirklichkeit jedoch, so Cembrero, liege die Macht »nicht bei der Regierung oder im Parlament, sondern beim Staatsoberhaupt und im Palast«. Die Verfassung von 2011 habe zwar die Macht des Königs etwas eingeschränkt, doch im wesentlichen bleibe die Exekutivgewalt beim Monarchen. Cembrero, der Korrespondent für El País und El Mundo war und aktuell für El Confidencial tätig ist, erinnert an die politischen Gefangenen in Marokko – »nicht nur Sahrauis, sondern auch Journalisten, die inhaftiert wurden«. Einige seien vor kurzem begnadigt worden, doch wirklich frei seien sie nicht: »Sie können immer noch nicht als Journalisten arbeiten.« Auch Aktivisten, die 2017 an Protesten teilgenommen haben, säßen weiterhin in Gefängnissen der alawitischen Monarchie. »All das zeigt, dass das positive Image Marokkos nicht der Realität entspricht«, resümiert Cembrero.

Die »Pegasus«-Software wurde laut Recherchen von Amnesty International und anderen Organisationen genutzt, um Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und mehrere Minister abzuhören, Belgiens damaligen Premier Charles Michel, Spaniens Pedro Sánchez sowie zahlreiche Aktivisten und Journalisten, darunter Cembrero. »Die Franzosen konnten es zunächst nicht fassen, dass ein Land wie Marokko in der Lage war, sie auszuspionieren«, so Cembrero, der im Thema Migration den Grund sieht, warum Paris lange Zeit nichts wegen »Pegasus« gegen Marokko unternahm. »Doch seit 2021 gibt es wieder eine deutliche Verbesserung der Beziehungen«. Das »Pegasus«-Spionageprogramm wird vom israelischen Unternehmen NSO Group hergestellt und wurde in zahlreichen Ländern auf illegale Weise eingesetzt, um die Opposition zu überwachen, darunter auch Spanien oder Kolumbien.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Plötzlich wieder beste Freunde: Emmanuel Macron und Mohammed VI....
    31.10.2024

    Glänzende Geschäfte

    Marokko: Französischer Präsident bei Staatsbesuch mit vollen Auftragsbüchern belohnt. Der Preis ist der Verrat an der Westsahara
  • Der EuGH bestätigt die internationale Rechtslage und bestärkt di...
    05.10.2024

    Westsahara ist nicht Marokko

    Europäischer Gerichtshof entscheidet endgültig gegen Rabat
  • Marokkanische Journalisten protestieren gegen Unterdrückung der ...
    06.05.2024

    »Ich fühlte mich im Stich gelassen«

    Spanien: Marokko zieht erneut gegen unbequemen Journalisten vor Gericht. Der fühlt sich von Sozialdemokratie verraten. Gespräch mit Ignacio Cembrero

Mehr aus: Ausland