Angriff auf Souveränität
Von Karin Leukefeld, BeirutAmos Hochstein, Sondervermittler von US-Präsident Joe Biden für einen Waffenstillstand zwischen Libanon und Israel, hat seine Vermittlungsversuche in Beirut zunächst nicht fortgesetzt. Nach Verhandlungen mit dem libanesischen Parlamentssprecher Nabih Berri, der sich mit der Hisbollah abspricht und für diese mitverhandelt, war Hochstein am Donnerstag nach Tel Aviv gereist. Israelischen Medien zufolge kam er dort mit Verteidigungsminister Israel Katz und dem Oberkommandierenden der Israelischen Streitkräfte (IDF), Herzl Halevi, zusammen. Anschließend traf Hochstein Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und flog dann direkt in die USA zurück.
Inhaltlich war über die Gespräche in Tel Aviv nichts zu erfahren. So bleiben auch Einzelheiten über ein mögliches Waffenstillstandsabkommen zwischen Libanon und Israel vage. Einig zu sein scheint man sich über die Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 1701 von 2006, derzufolge Israel sich aus dem Libanon zurückziehen muss und die »Blaue Linie«, die Waffenstillstandslinie zwischen Libanon und Nordisrael – im Libanon spricht man von Nordpalästina – , zukünftig gemeinsam von der libanesischen Armee und der UNIFIL, der UN-Friedensmission für den Libanon, kontrolliert werden soll.
Israel und seine Verbündeten in den USA und Europa fordern zudem eine zusätzliche militärische Überwachung, die von Deutschland und Großbritannien an sämtlichen Außengrenzen des Libanon durchgeführt werden könnte. Berichten zufolge lehnt nicht nur die Hisbollah ein solches Vorhaben ab. Im Libanon spricht man von einer Verletzung der libanesischen staatlichen Souveränität. Beirut kritisiert zudem, dass Israel die Resolution 1701 permanent missachte, und hat daher zahlreiche Beschwerden im Weltsicherheitsrat eingereicht: Israel überfliege unerlaubt libanesischen Luftraum, auch überwache es die Telefon- und Internetkommunikation des Landes. Bewohner würden so eingeschüchtert, Politiker, Journalisten und Aktivisten ausspioniert.
Während der zwei Tage, die Hochstein sich in der vergangenen Woche in Beirut aufhielt, herrschte Ruhe über der Stadt. Keine der rund 30 israelischen Überwachungsdrohnen, die jeden Winkel Beiruts beobachten, Straßen, Parks und Häuser scannen und nach »Hisbollah-Stellungen« absuchen, war zu hören. Kein Angriff erschütterte die Stadt. Kaum war Hochstein allerdings am Donnerstag abgereist, war das Surren der Drohnen, die 24 Stunden am Tag Beirut überwachen, wieder zu hören. Die israelische Armee verbreitete wieder ihre zynischen »Evakuierungsmeldungen«. Rot markierte Gebäude seien innerhalb von 30 Minuten zu räumen, bevor sie zerstört werden. Bei den Angriffen im Süden von Beirut und zunehmend auch im Zentrum der Stadt werden ausschließlich Wohn- und Geschäftshäuser zerstört.
Nach offiziellen Angaben wurden im Libanon seit Oktober 2023 bisher mehr als 3.500 Menschen getötet und über 15.000 verletzt. Die Zahl der verletzten und getöteten Hisbollah-Kämpfer ist unklar. Mehr als eine Million Menschen wurde vertrieben. Der wirtschaftliche Schaden durch die israelischen Angriffe wird von der Weltbank auf 8,5 Milliarden US-Dollar (fast 8,2 Milliarden Euro) geschätzt.
Im Süden des Libanon halten die heftigen Kämpfe zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee an. Ersten Schätzungen zufolge wurden 37 Dörfer und 40.000 Häuser ganz oder teilweise durch israelische Angriffe zerstört. Israel gelang es jedoch nicht, wichtige Städte in diesem Gebiet – Nakura, Bint Dschbeil oder Khiam – einzunehmen. Seit mehr als zwei Monaten versuchen rund 50.000 israelische Soldaten verschiedener Divisionen und Spezialkräfte wie die »Golani-Brigade«, Land im Süden zu besetzen, sind dabei allerdings nicht weiter als einen Kilometer vorgedrungen. Ortschaften, die tiefer im Landesinnern liegen, konnten von den IDF nicht gehalten werden. Nach offiziellen israelischen Armeeangaben ist die Zahl der getöteten israelischen Soldaten seit Oktober 2023 bei den Angriffen auf Gaza und Libanon auf 803 gestiegen.
Hinweis: In der vorherigen Version wurde die von der Weltbank angegebene Summe fälschlicherweise in Billiarden angegeben.
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