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Aus: Ausgabe vom 25.11.2024, Seite 15 / Politisches Buch
Zensur und Propaganda

Mit dem Faktenchecker bewaffnet

Michael Meyens Schrift über die »Cancel Culture«
Von Hagen Bonn
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Protestkundgebung gegen das Verbot des Palästina-Kongresses in Berlin

Erinnern wir uns: Das erste Triumvirat (60 v. u. Z.) bildete in der Krise der späten römischen Republik ein ökonomisches, politisches und militärisches Kartell. Ein Kartell zeichnet sich dadurch aus, dass die Beteiligten nur miteinander abgestimmt handeln. Und damit haben wir die Zündschnur zu Michael Meyens kleinem Büchlein gelegt: »Cancel Culture. Wie Propaganda und Zensur Demokratie und Gesellschaft zerstören«. Denn wenn der Leser das Büchlein öffnet, wird es ihm heftig um die Ohren fliegen. Und ja, wir wissen selbstverständlich, dass die BRD in puncto »Andersdenkende« den Ton in den vergangenen Jahren enorm verschärft hat. Linke Aktivisten, die nicht regelmäßig als Rechte, Schwurbler, X-Leugner, Antisemiten, Terrorunterstützer, Hassprediger oder Verschwörungsideologen tituliert werden, nehme ich persönlich schon gar nicht mehr ernst.

Als Kommunikationswissenschaftler brachte es Meyen fertig, einen Bestseller (»Die Propagandamatrix«, 2021) zu schreiben, der umgehend zur Verschwörungserzählung deklariert wurde. Die Woke-Polizei von Zeit Campus fand das gar nicht gut und fragte irritiert, warum der Mann als Professor öffentlich lehren dürfe. Wen fragten die? Darum geht es. Meyen meint, dass von den Leitmedien ausgehend bestimmte Institutionen unter Druck geraten, repressiv zu handeln. Gleiches erkennt er bei Staat und Parteien. Diese Akteure stützen »sich auf ein intellektuelles Prekariat, das aus Steuertöpfen lebt, sowie auf eine Regierungspropaganda«, die als alleinige Wahrheit gelten soll und »gegen eine Mehrheit der Ewiggestrigen« durchgesetzt werden muss. Muss! Weil sonst, äh … Ach Gott, da habe ich vorhin die »Antidemokraten« in meiner Aufzählung vergessen.

Aber weiter. Beängstigend fand ich die Beschreibung, wie unmittelbar die Macher der Chose miteinander verzahnt sind. Ein Uhrwerk ist dagegen ein Döschen voller Büroklammern. Auch nicht nett ist die Erkenntnis, dass die Produkte der Leitmedien und die Rufe aus dem Parteienstaat letztendlich zu einer Suppe hochköcheln, von der wir alle essen müssen. Selbst Alternativ- oder Oppositionsmedien beziehen »ihren Stoff« aus dem Topf, partizipieren also am »Digitalkonzernstaat«, der sich bewaffnet mit »Faktenchecker«, Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG), Medienstaatsvertrag oder Gefühlsrecht.

Letzteres konnten wir im April live beim Palästina-Kongress erleben oder im Mai bei FU-Präsident Günter Ziegler, der die Polizei beauftragte (sic), öffentliche (sic!) Plätze zu räumen, weil die Protestierenden echt zu weit gingen: »Diese trugen unter anderem Palästina-Tücher, hielten Transparente hoch und skandierten zum Teil propalästinensische Sprechchöre«, hieß es im Polizeibericht. Brutal, oder? Es folgte auch gleich der Ruf nach Exmatrikulation der äh … »Extremisten«. Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, sagte während einer dazu anberaumten Pressekonferenz: »Versammlungsfreiheit ist das Recht auf Dissens, auf abweichende Meinung.« Trotzdem. Das Nadelöhr wird enger.

Die Digitalisierung hat Zensur und Propaganda auf ein neues Niveau gehoben. Beide Kampfmittel sollen dafür sorgen, an der künftigen Heimatfront klar Schiff zu machen. Das Ziel ist, natürlich, die letzte Schlacht zur Neuaufteilung der Welt. Das Triumvirat aus Leitmedien, Staat und Konzernmacht kann jedoch erst zuschlagen, wenn es seine Gegner zerschlagen hat. Im Namen der Freiheit, der Demokratie und des Heiligen Geistes. Amen. Und lesen! Also das Buch.

Michael Meyen: Cancel Culture. Wie Propaganda und Zensur Demokratie und Gesellschaft zerstören. Verlag Hintergrund, Berlin 2024, 80 Seiten, 10,90 Euro

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (27. November 2024 um 11:19 Uhr)
    »Cancel Culture« ist ein Schlagwort, das vorwiegend von Leuten aus der rechten Ecke benutzt wird. Nicht zufällig bewegt sich »Bestseller«-Autor Michael Meyen in Querdenkerkeisen und war von März bis April 2023 sogar Mitherausgeber der Querdenkerzeitung »Demokratischer Widerstand«, ein Forum für Coronaleugner, Impfgegner (»Spritzengenozid«) und andere Nichtdenker. Wenn jemand »anders« denkt, heißt das noch lange nicht, dass er auch wirklich denkt. Der Autor schreibt: »Linke Aktivisten, die nicht regelmäßig als Rechte, Schwurbler, X-Leugner, Antisemiten, Terrorunterstützer, Hassprediger oder Verschwörungsideologen tituliert werden, nehme ich persönlich schon gar nicht mehr ernst.« Rechte, Schwurbler, X-Leugner, also Coronaleugner, Holocaustleugner, Klimaleugner ect. gibt es nicht wirklich? Für solche »abweichenden Meinungen« bricht der Autor eine Lanze?

Regio:

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