Doppelter Angriff
Von Ina SembdnerSeit Jahren steigt die Gewalt und seit Jahren wird der Rotstift beim Gewaltschutz angesetzt: Zum Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt an Frauen und Mädchen gab es am Montag dennoch hehre Worte zu hören. »Es muss mehr Frauenhausplätze und Beratungsangebote geben, verlässlich finanziert. Opfer von Gewalt brauchen einen Anspruch auf Schutz«, schrieb etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf X. Oder auch puren Aktionismus ohne Nutzen: Denn Bundesinnenministerin Nancy Faeser glaubt, etwas mit einer Videokampagne ausrichten zu können, die über den Youtube-Kanal »Polizeiliche Kriminalprävention« läuft und auf Sensibilisierung »gerade unter jungen Menschen« zielt. Es sind jedoch Beamte, die Gewaltbetroffene um Hilfe bitten (müssen) – und von ihnen ebensooft nicht ernst genommen werden. Zudem konstatierte das Bundeskriminalamt bei der Vorstellung des Lagebilds vergangene Woche, das Risiko, Opfer eines Femizids zu werden, steige mit dem Alter.
Tatsache ist also weiterhin, dass die mangelhafte Ausstattung und Finanzierung der überlebenswichtigen Strukturen seit Jahren von Verbänden und Initiativen angeprangert wird und dass es weiterhin jeden Tag in Deutschland zwei bis drei Tötungsversuche gibt – im vergangenen Jahr nach Angaben des Bundeskriminalamts 938 Frauen und Mädchen –, und an fast jedem Tag mündete die geschlechtsspezifische Gewalt in einem Femizid. Wie in anderen Bereichen auch sind rassifizierte und Frauen mit Behinderung sowie weiblich gelesene geschlechtliche und sexuelle Minderheiten noch häufiger davon betroffen. Nicht nur der migrantisch-feministische Dachverband Damigra warnt vor einer »Gefahr für unsere gesamte Gesellschaft« und spricht im Zusammenhang mit dem Anstieg der Gewalt bei gleichzeitigen Kürzungen von einem doppelten Angriff auf Frauenrechte und Frauenleben.
Das der Gewalt zugrunde liegende patriarchale System, das auf Ausbeutung und Kontrolle nichtmännlicher Geschlechter angewiesen ist, hat global betrachtet noch dramatischere Auswirkungen: Alle zehn Minuten wird weltweit eine Frau von ihrem Partner oder einem Familienmitglied getötet. »Das Zuhause bleibt der gefährlichste Ort« für Frauen, erklärte das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung am Montag anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts 2023. Demnach wurden im vergangenen Jahr weltweit 51.100 Mädchen und Frauen von Verwandten oder männlichen Partnern getötet. Die Gewalt gegen Frauen habe »ein alarmierendes Ausmaß« angenommen – auf hohem Niveau auch innerhalb der Europäischen Union. Die Direktorin der EU-Grundrechteagentur, Sirpa Rautio, erklärte bei Vorstellung einer entsprechenden Umfrage, dass ein Drittel der insgesamt etwa 229 Millionen Frauen »geohrfeigt, geschlagen, getreten, vergewaltigt oder mit solcher Gewalt bedroht« wurde. »Im Vergleich zu 2014 sehen wir keine großen Fortschritte.«
Ähnliches muss für das seit langem angekündigte Gewalthilfegesetz konstatiert werden, bei dessen Finanzierung sich Familienministerin Elisabeth Paus (Grüne) nicht gegenüber Exfinanzminister Christian Lindner (FDP) behaupten konnte. Unmittelbar vor Koalitionsbruch zauberte Paus ihren Entwurf dann aus dem Hut und hofft nun auf eine Mehrheit noch in dieser Legislaturperiode mit den Stimmen der CDU/CSU. Es sieht vor, dass jede von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffene Frau mit ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung erhält – frühestens ab 2030, oder umgerechnet 1.800 Femizide später.
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