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Aus: Ausgabe vom 26.11.2024, Seite 2 / Inland
Tote durch Polizeischüsse

»Psychische Erkankungen spielen eine Rolle«

Von der Polizei getötet: Deutlich mehr erschossene Menschen als in den vergangenen Jahren. Gespräch mit Dirk Burczyk
Interview: Henning von Stoltzenberg
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In diesem Jahr starben bereits deutlich mehr Menschen durch den Einsatz von Polizeiwaffen als in den Jahren davor. Wie viele waren das, und wie sah das im Vergleich in den Jahren davor aus?

Bis jetzt wurden 18 Menschen von der Polizei erschossen (am Sonntag starb in NRW ein Mann, nachdem er am Sonnabend abend von Polizisten angeschossen wurde, damit sind es inzwischen 19 Opfer, jW). 2023 waren es zehn, 2022 elf, 2021 sogar nur acht. Zuletzt war die Zahl 1999 ähnlich, da gab es im gesamten Jahr 19 Opfer polizeilicher Todesschüsse.

Die »Gewerkschaft der Polizei« verweist auf einen Anstieg der Gewaltkriminalität als Ursache. Ist das der Grund?

Nein, überhaupt nicht. Für das vergangene Jahr hat das Bundeskriminalamt ein Lagebild zur Gewalt gegen Polizisten vorgelegt, das einen Anstieg beispielsweise bei Körperverletzungsdelikten zeigt. Aber 2023 wurde eine Person weniger als 2022 erschossen – da gibt es keinen statistisch signifikanten Zusammenhang. Die »Gewerkschaft der Polizei« und Landesinnenministerien schmeißen hier auch gern etwas durcheinander – die Zahl von »Widerstand« gegen und »tätlichen Angriffen« auf Polizeibeamte hat zugenommen, aber die Strafbarkeitsschwelle ist mittlerweile so lächerlich niedrig, dass man nur in wenigen Fällen von »Gewalt« sprechen kann.

Welche Rolle spielen psychische Erkrankungen bei tödlich verlaufenden Polizeieinsätzen?

Ein zunehmende, wie unsere Zahlen zeigen. Bis in die nuller Jahre spielte das fast keine Rolle. Seitdem sehen wir eine Zunahme von Fällen, in denen sich Personen in psychischen Ausnahmesituationen befunden haben, als sie erschossen wurden. In diesem Jahr sind es mit zehn Menschen mehr als die Hälfte der erfassten Fälle. Wobei das nur diejenigen sind, in denen es eine akute psychische Ausnahmesituation gab. Ob es darüber hinaus noch Opfer gab, die aufgrund einer dauerhaften psychischen Erkrankung nicht sozialadäquat auf die Anforderungen der Polizei reagieren konnten, können wir nur erahnen. Wir werden dem im nächsten Frühjahr ein Schwerpunktheft widmen.

Wie stehen Sie zum Einsatz von sogenannten Tasern bei Polizeieinsätzen?

Taser sollen als »nichttödliche Einsatzmittel« den Schusswaffengebrauch vermeiden helfen. Das mit dem »nichttödlich« stimmt schon mal nicht per se. Und internationale Erfahrungen zeigen: Der Taser wird nach Einführung viel häufiger eingesetzt als die Schusswaffe, und zugleich erreicht der Schusswaffengebrauch schnell wieder das vorherige Niveau. Es wird also einfach nur das Arsenal um ein sehr schmerzhaftes und auch entwürdigendes Zwangsmittel erweitert. Für Deutschland ist die Datenbasis noch recht dünn, und die Evaluation wird von der Stelle betrieben, die zuvor vehement die Einführung des Tasers gefordert hat. Da wird gern behauptet, schon die Androhung des Tasers wirke »deeskalierend«. Angst vor den Schmerzen durch einen Elektroschocker sprachlich als erfolgreiche »Deeskalation« zu ummanteln, hat schon eine gewisse Dreistigkeit.

Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit weniger Menschen durch Polizisten bei Einsätzen getötet werden?

Ganz schön viel! Nur zwei Dinge als Beispiel: In NRW wurde das Leitbild der Polizei geändert, statt Kommunikation mit den Bürgern steht nun die Durchsetzungskraft der Beamten an erster Stelle. Das muss dringend revidiert werden. Damit zusammenhängend müssen Polizeibeamte darauf vorbereitet werden, dass sie nicht jedes Problem lösen können – manchmal hilft nur, eine Situation »einzufrieren« und auf sozialpsychiatrische Kriseninterventionsteams zu warten. Mouhamed Lamine Dramé hätte das 2022 in Dortmund das Leben gerettet. Wir sehen aber auch, dass regelmäßig von Situationen berichtet wird, in denen es um Gewalt im häuslichen Umfeld geht, Männer gehen mit Messern auf ihre Partnerinnen oder den Nachbarn los, dann auf die eintreffende Polizei. Ich würde das als Phänomene patriarchaler Gewalt deuten, die Durchsetzung von Machtansprüchen mit allen Mitteln. Da steht also ein gesellschaftliches Problem dahinter, das dann aber nur als eines von Gewalt gegen Polizeibeamte verhandelt wird – das ist ungefähr so, als würde man sich bei Hochwasser erst mal um verstopfte Gullys kümmern, statt die Häuser zu evakuieren.

Dirk Burczyk ist Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/Cilip

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