Bolsonaro drohen 68 Jahre Haft
Von Norbert Suchanek, Rio de JaneiroNach zwei Jahren Ermittlungen beschuldigt die brasilianische Bundespolizei den ehemaligen ultrarechten Staatspräsidenten Jair Bolsonaro, Ende 2022 einen Staatsstreich geplant zu haben, um nach der verlorenen Wahl weiter an der Macht zu bleiben. Am Donnerstag forderte die Bundespolizei mit Veröffentlichung ihres Untersuchungsberichts die Anklageerhebung wegen versuchter gewaltsamer Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats, Putschversuchs und krimineller Organisation gegen insgesamt 36 weitere Personen.
Darunter befinden sich neben Bolsonaro hochrangige Mitglieder seiner damaligen Regierung wie Verteidigungsminister und Armeegeneral Walter Souza Braga Netto und Justizminister Anderson Gustavo Torres, frühere Mitarbeiter und mehrere pensionierte Generäle wie der ehemalige Leiter des Kabinetts für institutionelle Sicherheit, Augusto Heleno, sowie der ehemalige Präsident des brasilianischen Geheimdienstes, Alexandre Ramagem. Laut Untersuchungsbericht sei auch der rechtsgerichtete argentinische Medienunternehmer und Politikberater Fernando Cerimedo an den Putschplanungen beteiligt gewesen. Er gilt als einer der Verantwortlichen für das Erstarken der Rechten in Lateinamerika. So diente er auch dem amtierenden argentinischen Präsidenten Javier Milei als Chef für digitale Kommunikation in seinem siegreichen Wahlkampf. Cerimedo sei im unterstellten Putschplan, so die Bundespolizei, Teil des Teams für Desinformation und Attacken gegen das Wahlsystem gewesen.
Noch sind Bolsonaro und seine mutmaßlichen Mitputschisten auf freiem Fuß. Der mehrere hundert Seiten starke Untersuchungsbericht liegt derzeit dem Obersten Gerichtshof in Brasília zur Prüfung vor, der ihn möglicherweise noch diese Woche an die Generalstaatsanwaltschaft weiterleitet. Es obliegt dann dem Generalstaatsanwalt Paulo Gonet, die vorgelegten Beweise zu bewerten und zu entscheiden, ob Bolsonaro tatsächlich vor Gericht gestellt wird.
Sollte es zu einer offiziellen Anklage kommen, drohen dem 69jährigen insgesamt 68 Jahre Gefängnis, denn es gibt noch zwei weitere Verfahren: wegen der Fälschung von Impfausweisen in der Coronapandemie und dem illegalen Verkauf von aus der Präsidentensammlung entwendetem Schmuck und Luxusuhren im Wert von drei Millionen Euro, die er in seiner Amtszeit als offizielles Gastgeschenk in Saudi-Arabien erhalten hatte.
Noch während des G20-Gipfels hatte die Bundespolizei am Dienstag vergangener Woche vier Militärs und einen ihrer Beamten in Rio de Janeiro im Zusammenhang mit dem Putschversuch verhaftet. Sie sollen die Ermordung des gewählten linken Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (Partei der Arbeiter), seines Vizepräsidenten Geraldo Alckmin (Sozialdemokratische Partei Brasiliens) und des Richters des Obersten Bundesgerichts, Alexandre de Moraes, geplant haben. Die vier festgenommenen Offiziere gehören den sogenannten Kids pretos (schwarze Kinder) an, Elitesoldaten der Armee, die für die Terrorabwehr zuständig sind.
Laut Haftbefehl wollten die Verdächtigen Lula da Silva mittels eines Gifts oder Chemikalien, die ein Organversagen auslösen, töten. Dies gehe aus einem beim Brigadegeneral der Reserve, Mário Fernandes, sichergestellten Planungsdokument hervor, teilte die Ermittlungsbehörde mit. Fernandes war unter Bolsonaro Exekutivsekretär des Generalsekretariats der Präsidentschaft. Für die Hinrichtung von Bundesrichter de Moraes wiederum seien der Einsatz eines Sprengsatzes und eine Vergiftung während einer öffentlichen Veranstaltung in Betracht gezogen worden.
Die beabsichtigten Morde an Lula, Alckmin und Moraes sollten unter dem Decknamen »Grüner und gelber Dolch« in Anlehnung an die Farben der brasilianischen Flagge am 15. Dezember 2022 stattfinden, drei Tage nachdem Lula offiziell als designierter Präsident bestätigt worden war und rund zwei Wochen vor seiner Amtsübernahme. Erst in letzter Minute wurde die Planung abgebrochen. Die Dokumente und Informationen über die Vorbereitungen der Mordanschläge und zur Durchführung eines Staatsstreichs fanden die Ermittler mit Hilfe israelischer Technik in den Mobiltelefonen und Computern der Verdächtigen. Inwieweit Bolsonaro selbst von den Mordplänen gewusst hatte oder gar involviert war, ist noch unklar.
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