»Das Projekt ist mit der Verkehrswende unvereinbar«
Interview: Alba Ruiz DunbarSeit dem 18.11. besetzen Sie in Tübingen an der B27 ein Waldstück, um gegen den geplanten Schindhaubasistunnel zu protestieren. Wie lebt es sich bisher in der »Schindi-Verhindi«-Besetzung?
Kalt. Wir haben uns eine Woche ausgesucht, in der es schneit, und die Straße daneben ist sehr laut. Aber auch schön, es ist ein Mischwald mit einer Eiche, wo unser erstes Baumhaus drin ist, und es kommen Leute vorbei und bringen Essen und Tee.
Warum harren Sie Mitte November im Wald aus?
Dieser Tunnelplan ist alt, soll aber bald ins Planfeststellungsverfahren gehen. Es dauert also noch, bis gebaut würde. Aber es ist wichtig, das Bauvorhaben im frühen Stadium aufzuhalten, damit nicht noch mehr in die falsche Richtung geplant wird. Es gab von Bürgerinitiativen Diskussionen darüber, wir haben uns vom Regierungspräsidium mit einem Banner abgeseilt und mit dem Präsidenten geredet, aber es ist noch nicht angekommen, was das eigentlich für ein Monster-Autoprojekt ist. Es musste wieder Bewegung in die Sache. Und es klappt: Viele Bürger und Politiker fangen an, sich damit auseinanderzusetzen.
Der Tunnel soll eine Verkehrsberuhigung für die Anwohner herbeiführen – warum wollen Sie den verhindern?
Die Straße führt mitten durchs Wohngebiet, das kann man nicht schönreden. Aber mit dem Tunnel werden die Anwohner hingehalten, statt sinnvolle Verkehrsmaßnahmen umzusetzen. Zum Beispiel machen Pförtnerampeln, mehr Überwege und bessere Ampelschaltungen Straßen leiser und sicherer. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages haben dazu mehrere Studien erstellt: Baut man größere Straßen für motorisierten Individualverkehr, erhöht sich dieser. Laut dem Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie muss die Zahl der Pkw halbiert werden, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das Projekt ist also mit der Verkehrswende unvereinbar. Schließlich ist es auch eine Geldfrage: Busfahren wäre für viele Menschen billiger, und es ist ein teures Projekt, das vermutlich über 400 Millionen Euro kosten wird. Von dem Geld könnte man vier Schnellbuslinien einrichten.
Wer ist für diese Entscheidung verantwortlich?
Fragt man die Beteiligten: niemand. An diesen Verkehrsprojekten sind aber viele Akteure beteiligt. Das Bundesverkehrsministerium nimmt das Projekt in den Bundesverkehrswegeplan auf. Das tut es auf Initiative des Gemeinderats. Dann wird es an das Landesverkehrsministerium weitergegeben. Dieses genehmigt es für die Planung des Regierungspräsidiums Tübingen. Der Stadt gehören aber die Flächen. Es ist schwierig, an den Bundesverkehrsminister heranzukommen. Das Regierungspräsidium hat uns gesagt: »Wir entscheiden das nicht«, und der Gemeinderat hat gesagt: »Wir haben das aus der Hand gegeben«. Das ist auch ein Grund, warum wir besetzen. Wir fordern, dass alle Verantwortung übernehmen. Es kann nicht sein, dass so ein Projekt, einmal ins Rollen geraten, nicht verhindert werden kann.
In Städten wie Tübingen funktioniert der ÖPNV noch gut, auf dem Land sieht das ganz anders aus. Gibt es nicht Orte, an denen die Verkehrswende dringender ist?
Sicherlich, aber in dieser Region wird viel gependelt, gerade Richtung Stuttgart. Da gibt es schon ÖPNV-Strecken, die man theoretisch fahren kann, die aber vom Zeitaufwand so viel Unterschied machen, dass es sich fast nicht lohnt. In Tübingen ist die Verkehrswende zumindest mal ambitioniert angefangen worden. Die Gemeinderäte sind oft der Auffassung, »Tübingen macht schon so viel«, aber genau deshalb muss man auch konsequent sein.
Muss Tübingen mit einer langfristigen Waldbesetzung rechnen?
Wenn dieser Tunnel nicht gestoppt wird, werden wir wiederkommen und dauerhaft besetzen. Die Besetzung lief erst mal nur eine Woche, weil erst in fünf Jahren Baubeginn ist. Aber wir haben jetzt die Infrastruktur und die Anwohner um die Ecke kennengelernt. Wir haben für die Zukunft ein gutes Netzwerk.
Lena Mapler ist Sprecherin für die »Schindi-Verhindi«-Waldbesetzung
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Regio:
Mehr aus: Inland
-
SPD nominiert Scholz
vom 26.11.2024 -
»Psychische Erkankungen spielen eine Rolle«
vom 26.11.2024 -
Borussia Rheinmetall
vom 26.11.2024 -
Schulessen zu teuer
vom 26.11.2024 -
Ab in den Keller
vom 26.11.2024 -
Nichts auf der hohen Kante
vom 26.11.2024 -
Rat zum Rollback
vom 26.11.2024