Papas Lied ist tot
Von André Weikard»So langsam gehen uns die Stühle aus«, ruft einer der Organisatoren durch das Düsseldorfer Kulturzentrum »Zakk«. Der große Saal ist brechend voll. Jeder Sitz in den engen Stuhlreihen ist besetzt, die Empore sowieso. Sie alle sind gekommen, um sich zu erinnern. Zu erinnern an »eines der prominentesten Gesichter der Außerparlamentarischen Opposition«, wie es im Verlauf des Abends heißt, an »Väterchen Franz, den versoffnen Chronisten« der BRD, wie er sich selbst in einem Song einst nannte. Es ist ein Erinnern an Franz Josef Degenhardt.
Auf der Bühne haben Platz genommen: Kai Degenhardt, Sohn des Liedermachers und selbst einer, jW-Autor Ingar Solty, der derzeit an einer Biographie über Degenhardt schreibt, und der Schauspieler Rolf Becker. Ein kongeniales Trio, wie sich zeigen wird. Der eine, Solty, liefert die Eckdaten aus Degenhardts Biographie, spricht von Anfängen im »militant katholischen« Elternhaus, einem Vater, der es zum stellvertretenden CDU-Landrat bringt. Der andere, Kai Degenhardt, steuert Anekdoten bei, gibt Erzählungen seines Vaters wieder, lässt vor allem aber seine Lieder klingen. Der dritte, Rolf Becker, rezitiert gewohnt eindrücklich, begleitet von ausladenden Gesten und erhobenem Finger an den Stellen, die er besonders der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer empfiehlt.
Die erfahren, wenn sie es nicht längst schon wussten, dass der Franz Degenhardt einst im Anklang an das Oberhausener Manifest von 1962 mit dem Slogan »Papas Kino ist tot« auch Papas Lied für tot erklärte. Dass er gemeinsam mit Sängern wie Hannes Wader, Hanns Dieter Hüsch oder Dieter Süverkrüp gegen den Kapitalismus ansang, gegen Vietnamkrieg, Notstandsgesetze und Radikalenerlass. Kai Degenhardt spielt das Lied vom Arbeiter Rudi Schulte, der über Jahrzehnte immer weiter kämpft, und nicht wenige der Degenhardt-Veteranen im Saal raunen mit.
Auch Franz Degenhardt kämpft immer weiter, verteidigt als Anwalt Kriegsdienstverweigerer und RAF-Mitglieder, tritt 1978 in die DKP ein. Da ist die sogenannte Tendenzwende im Westen schon im Gange. Die Abkehr vom Wohlfahrtsstaat hin zum Neoliberalismus. Die Aushöhlung gewerkschaftlicher Macht. Franz Josef Degenhardt erkennt und deutet diese Erneuerung des Kapitalismus früh, wie Solty ausführt. Jahre ehe dieser Wandel mit den Wahlen von Ronald Reagan, Margaret Thatcher und Helmut Kohl ein politisches Gesicht bekommt.
Lied geworden ist seine Analyse in »Drumherumgerede« (1979), das Rolf Becker nun rezitiert. Es ist die triumphierende Ansprache eines Altnazis, der nun wieder Oberwasser hat. »Die Linie Chemnitz-Krakau-Kiew« feiert er als »Perspektive für Deutschland«. Anlass für Becker, darauf hinzuweisen, dass die Zeile »keine Einfügung aus aktuellem Anlass« sei. Nein, nein, original Degenhardt.
Die Zeit der Ernüchterung, des gesellschaftlichen Rollbacks sei es denn auch gewesen, in der er, Becker, und Degenhardt sich kennenlernten. Anfang der 80er in der Dortmunder Westfalen‑halle, wo Becker auf einer Friedenskundgebung von Zehntausenden ausgebuht worden sei, weil er sich positiv zur DDR geäußert habe, sei Degenhardt »noch auf der Bühne« auf ihn zugekommen, habe ihn umarmt und ihm gesagt: »Die Buhrufe all derer sind eine größere Ehre, als der Applaus, den du von uns bekommen hast.«
Franz Degenhardt veröffentlicht unermüdlich weiter Alben, schreibt insgesamt neun Romane, ist sich auch nicht zu schade, um 1985 im Privatfernsehen aufzutreten, wo er prompt kundtut, dass er für eine »Rücküberführung des Privatfernsehens in öffentlichen Besitz ist«. Solty deutet diesen TV-Auftritt und weitere nach 1989 als »am Nasenring durch die Manege ziehen«, als einen Versuch, den Umstürzler von einst lächerlich zu machen. Doch Degenhardt weiß sich zu wehren. Er pariert Fragen von TV-Journalisten, warum er denn »immer noch« in der DKP sei, mit der Auskunft, ohne die Fundamentalopposition käme man in Deutschland auf den dummen Gedanken, schon am »Happyend der Geschichte« angelangt zu sein. Und Becker liest wie zur Antwort auf dieselbe Frage den Text von Degenhardts Song »Von der Fahne« vor. »Man geht nicht von der Fahne«, heißt es da. »Erst recht nicht, wenn die Sache verloren ist. Das tut nur Pack.«
Kai Degenhardt intoniert die bissigen Lieder seines Vaters etwas sanfter, milder, als man sie von den alten Aufnahmen kennt. Und doch, als er zum Abschluss dann doch noch das Lied von den »Schmuddelkindern« singt, ist es manchem im Raum, als säße das Väterchen Franz noch da auf der Bühne. Das kann er nicht mehr. Im November 2011 ist Franz Josef Degenhardt verstorben.
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