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Aus: Ausgabe vom 27.11.2024, Seite 8 / Ausland
Algerien

»Die Militärs haben das Land im Griff«

Algerien: Der Schriftsteller Boualem Sansal ist verhaftet worden. Ein Gespräch mit Najem Wali
Interview: Gitta Düperthal
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Der algerisch-französische Autor Boualem Sansal (Paris, 29.10.2015)

Der algerisch-französische Schriftsteller und Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, Boualem Sansal, wurde am 16. November am Flughafen in Algier festgenommen. Was ist dazu bekannt?

Zunächst galt er als verschwunden. Seine Familie und auch der Gallimard-Verlag, der seine Werke publiziert, sorgten sich sehr. Vorletzte Woche wurde er nach seiner Rückreise aus Paris am Flughafen Algier verhaftet, Ende letzter Woche bestätigte es die algerische Nachrichtenagentur. Boualem Sansals Festnahme ist ein Angriff auf die Freiheit eines herausragenden Schriftstellers. Er hat stets den Mut bewiesen, Missstände offen anzusprechen und dunkle Kapitel der algerischen Geschichte zu beleuchten. Erzwungenes Schweigen darf nicht zum Symbol schleichender Unterdrückung der Meinungsfreiheit werden.

Seine Festnahme erfolgte durch Mitglieder der algerischen Generaldirektion für Innere Sicherheit (DGSI). Was ist über die Vorwürfe gegen ihn bekannt?

Rechtsexperten aus Algerien gehen davon aus, dass man ihn wegen Artikel 79 des algerischen Strafgesetzbuches verhaften ließ. Der besagt: Jeder, der eine Handlung begeht, die das nationale Interesse des Staates oder seine Souveränität bedroht, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Oder auch wegen Artikel 87 a, nach dem »jede Handlung, die sich gegen die Sicherheit des Staates und das normale Funktionieren der Institutionen richtet«, als terroristischer oder sabotierender Akt gewertet wird. Journalisten und Intellektuelle zerrt man meist aus solchen Gründen vor Gericht. Obwohl man genaue Fakten nicht kennt, ist zu vermuten, dass die Festnahme im angespannten diplomatischen Kontext zwischen Frankreich und Algerien steht, seit Paris Ende Juli den marokkanischen Autonomieplan für das umstrittene Gebiet der Westsahara unterstützt hat. Zumal Sansal seit diesem Jahr auch französischer Staatsbürger ist. Die algerische Agentur bringt seine Verhaftung mit Debatten über die historischen Grenzen Algeriens im Jahr 1830 und die Souveränität über die Westsahara in Verbindung. Im Interview äußerte er, dass das algerische Regime die Polisario nur unterstütze, um Marokko zu destabilisieren. Seine Meinungsäußerung könnte man als Provokation betrachtet haben.

Der international für seine literarischen und politischen Werke bekannte 75jährige Schriftsteller steht seit Jahren auf der schwarzen Liste des algerischen Geheimdienstes DGSI – warum?

Wer das Narrativ einer herrschenden Macht infrage stellt, wird als Verräter betrachtet. Entweder singt man im Chor der Machthaber und Militärs, oder man ist ihnen ein Dorn im Auge. Jedesmal wenn ein Schriftsteller ins Gefängnis geworfen wird, ist das ein Akt gegen die Menschenrechte und das freie Wort.

Auf den 2021 verstorbenen Abdelaziz Bouteflika folgte der jetzige Präsident Abdelmadjid Tebboune. 2019 zeigte das algerische TV öffentlichkeitswirksam Verhaftungen korrupter Regierungsmitglieder. Waren das nur Bauernopfer, während ein stillschweigender Machtwechsel innerhalb derselben Machtclique stattfand?

Die Militärs haben das Land im Griff. Sie wechseln nur die Uniform und setzten mit Tebboune jemanden anderen als Marionette ein. Tebboune hatte für September Wahlen organisiert und mit etwa 95 Prozent der Stimmen gewonnen, wie andere Diktatoren, wenn sie scheindemokratisch Wahlen inszenieren. Es ist seine zweite Amtszeit.

Welchen Einfluss kann die internationale Solidarität auf die Situation von Boualem Sansal haben?

Wir wollen mit Friedenspreisträgern des Buchhandels gemeinsam agieren, um seine Freilassung und die Meinungsfreiheit in Algerien zu fordern, sowie mit dem Auswärtigen Amt und dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Kontakt treten. In der Vergangenheit haben wir schon organisiert, dass in solchen Fällen Postkarten aus aller Welt in Gefängnissen ankamen, wo Schriftsteller inhaftiert waren. Die Machthaber müssen einsehen, dass sie Autoren nicht ins Gefängnis sperren können.

Najem Wali ist Schriftsteller, Vizepräsident des PEN-Zentrums Deutschland und Writers-in-Prison-Beauftragter

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