Schlappe für Immolobby
Von Oliver RastSie sind gescheitert; knapp, aber gescheitert: die sogenannten Rauswurfvorlagen der Immobilienlobby in der Schweiz. Am Sonntag mittels Volksabstimmungen. Zwei Voten, einmal gegen die erleichterte Untersagung von Untermietverträgen, einmal gegen die vereinfachte Kündigung wegen Eigenbedarf. Michael Töngi wirkt am Dienstag gegenüber jW erleichtert. Hätten die eidgenössischen Stimmberechtigten die Vorlagen mehrheitlich bejaht, würden zur Miete Wohnende vermehrt und schneller aus ihren Quartieren rausgeworfen, so der Vizepräsident vom Mieterinnen- und Mieterverband der Schweiz (MVS) und grüne Nationalrat. Nicht nur das. Ein Sieg der Immohaie hätte deren »Appetit nochmals gesteigert, das Mietrecht auch an anderen Punkten zu verschlechtern.«
Das sieht Christian Dandrès, Mieten- und Wohnungsexperte der Sozialdemokratischen Partei (SP) der Schweiz im Nationalrat, auf jW-Nachfrage ähnlich. Denn neben Privatmietern würden zudem viele gewerbliche Mieter im Rechts-, Finanz- und Pflegebereich einen Teil ihrer Praxis untervermieten, untervermieten müssen, »um die erhebliche monetäre Belastung zu mindern.« Ein soziales und wirtschaftliches Bedürfnis sei das.
Den Referenden über die beiden Mietrechtsvorlagen ging eine monatelange »Zweimal-Nein-Kampagne« eines breiten Bündnisses voraus. Der MVS mobilisierte etwa neben der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), der Vereinigung zur Verteidigung der Rechte der Rentnerinnen und Rentner (AVIVO) und dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Denn dem Bündnis zufolge war das Ziel der Gegenseite nur eines: Rechtlich simpel kündigen zu können, um Wohn- oder Gewerberaum teurer wiederzuvermieten.
Die Kostenfolgen wären besonders für die rund 60 Prozent der schweizerischen Miethaushalte drastisch gewesen. Zumal jetzt schon der Posten für die Miete mehr als ein Viertel der Haushaltsausgaben ausmache, hatte das Bündnis Mitte Oktober via Mitteilung erklärt. Seit 2005 sind Schweizer Mieten im Schnitt um knapp 25 Prozent gestiegen. Unter dem Strich würden Vermieter jährlich zirka 42 Milliarden Franken an Miete kassieren. »Damit ist der Mietwohnungsmarkt der größte Markt der Schweiz.« Und er sei auch deshalb hochprofitabel, »weil der Mieterschutz schlecht greift.«
Schlimmer noch, Personen mit geringem Einkommen hätten aufgrund hoher Mieten kaum Zugang zum Wohnungsmarkt, weiß Nationalrat Dandrès. Sie verfügten auch nicht »über ein ausreichend großes Adressbuch von Vermietern«, um rasch Wohnraum, auch wechselnden, zu finden. Ein Warnsignal sei laut MVS ferner, dass renditegetriebene Großanleger immer stärker in den Wohnungsmarkt investierten. »Bei den seit 2011 gebauten Wohnungen liegt ihr Anteil bereits bei 56 Prozent – Tendenz steigend.«
Wie reagierte die Gegenseite, der »Bund für mehr Wohnraum«, angeführt vom Hauseigentümerverband (HEV)? Enttäuscht. Das »Nein« zu den Mietrechtsvorlagen löse keine Probleme, meinten Vertreter des HEV am Sonntag in einer Stellungnahme. »Die punktuellen Änderungen im Mietrecht hätten die Transparenz erhöht, was insbesondere auch Untermieter geschützt hätte«, behauptete HEV-Präsident Gregor Rutz, der zugleich für die rechte Schweizerische Volkspartei (SVP) im Nationalrat sitzt. Weiter raunte er: Der Ausgang der Volksabstimmung sei eine verpasste Chance. »Die Totalopposition des Mieterverbands war nicht zum Vorteil seiner Mitglieder.« Zumindest aber habe die Diskussion über die Vorlagen »die Sensibilität für klare und nachvollziehbare schriftliche Absprachen zwischen Mieter und Vermieter erhöht«, wurde Nationalrat und Fraktionspräsident der bürgerlichen Partei Die Mitte, Philipp Matthias Bregy, in der Stellungnahme zitiert.
Was bedeutet das »doppelte Nein« für das Mietrecht? Zunächst seien »perfide Angriffe auf das Zuhause vieler Menschen« abgewehrt worden, resümierte der MVS am Sonntag nach Bekanntgabe der Ergebnisse. Klar sei auch die Botschaft an das Parlament, an National- und Ständerat. »Das Volk will faire Mietverhältnisse.« Höchste Zeit also, dass sich parlamentarische Vertreter aus der Rolle von Befehlsempfängern der Immobilienlobby lösten. Das heißt? Weitere Mieterhöhungsvorlagen stoppen.
Gelegenheit dazu gibt es. Denn zwei weitere Vorlagen seien im Parlament unterwegs, so Töngi. Eine, um es Mietern künftig schwerer zu machen, einen überteuerten Anfangsmietzins der Vermieter rechtlich anfechten zu können. Und eine, um das Kriterium der orts- und quartiersüblichen Vergleichsmiete aufzuweichen, damit Wohnungsunternehmen die höhere, nicht gedeckelte Marktmiete verlangen können. Hochspekulative Mieten auf dem Knappheitsmarkt für Wohnraum dürften aber nicht zur Norm werden, betonte Dandrès.
Fest steht, der Mieterinnen- und Mieterverband der Schweiz wird neue Vorstöße gegen das Mietrecht seitens Hauseigentümern und bürgerlicher Lobbyvereine bekämpfen – »im Bündnis energisch.«
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