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Aus: Ausgabe vom 27.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Rock

Gegen den Strom

Gundi goes English: Dave Robb hat zehn Gundermann-Songs ins Englische übertragen und mit Band eingespielt
Von Gerd Schumann
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Das Gefühl, gebraucht zu werden: Gerhard Gundermann (1987)

»Ich möchte gerne so etwas sein wie eine Tankstelle für die Verlierer. Glücklich wäre ich, wenn Leute sagen würden, sie brauchen zum Leben Brot, Wasser und Lieder von ­Gundermann. Lieder als Lebens-Mittel, das wäre schon mehr, als man verlangen kann.«

Gerhard Gundermann

*

Nun also steht die »Filling Station for Losers« irgendwo auf der irischen Insel. Oder in Schottland, England oder Wales. Keine Ahnung. Sie sieht etwas traurig aus, als sei sie in die Jahre gekommen, was auch sonst? Sie heißt schließlich nicht mehr Minol, ist längst von der »­Wende« überholt, seit der die Tankstellen für Verlierer im Osten Namen tragen wie Esso, Shell, BP oder Elf, herzlichen Glückwunsch, Günthi Krause. Das war auf den britischen Inseln schon immer so und folglich auch in den seit Margaret Thatcher so gebeutelten Kohlerevieren, wo es, wie in der Lausitz, schon fast keine Kumpel mehr gibt und sich die Engel über dem Revierhimmel drängeln, wie Dave Robb singt: »Look at the angels jostling in the heavens / Above the colliery.«

Darüber, und von noch viel mehr, sang der »east-german miner and protest-singer«, als der Gundermann von Dave Robb präsentiert wird, ein einzigartiger Bergmann – oder konkreter: Baggerfahrer und Liedermacher in seiner an den angelsächsischen und nordamerikanischen Pop-Folk angelehnten, doch zugleich bodenständigen Attitüde, melancholisch gebrochen in Musik wie Text. So schaffte er den Zeitensprung vom damaligen Zwiespalt, in dem, wie wir mittlerweile wissen, vieles hätte bleiben sollen, wie es war, doch nichts blieb außer der Erinnerung, hinein in die heutige Unsicherheit, wo alles anders ist und nichts, wie es sein sollte, außer der Erinnerung. Und die Lieder Gundermanns wurden tatsächlich zum Überlebensmittel.

Eben dieses Gefühl des Gebrauchtwerdens, der Reflexion und eines durch die Zeiten untypisch gewordenen Optimismus zeichnen die »Songs of Gundermann« nunmehr auch an den Tankstellen des Königreichs aus, vorgetragen und begleitet von Gesang und Bouzouki des schottischen Liedermachers Robb und dessen respektabler Folkrockband. Der nunmehr in Nordirland ansässige und dort als Dozent arbeitende Germanist hat zehn Lieder aus dem 1990er Repertoire des 1998 verstorbenen Gerhard Gundermann, unterstützt von ­David Shirreff sowie George Leitenberger, ins Englische übersetzt.

Gundi goes English und damit entgegengesetzt dem üblichen Weg, den Popmusik seit Jahrzehnten geht. Von Liverpool und der Carnaby Street über den Kanal in den Rest Europas. Und nun aus den immer noch »neuen Ländern« zurück in die Brexit-Zone? Auf die Frage, ob es überhaupt möglich ist, die dichte, poetische Sprache Gundermanns mit ihren von Arbeit und Visionen geprägten, phantasiereich und weise gesetzten Worten angemessen zu übertragen, meint Robb, dass der Übersetzungsprozess tatsächlich sehr lange gedauert habe. Es sei natürlich nicht einfach, Gundis Sprachbilder ins Englische zu transportieren. »An erster Stelle musste es für mich rhythmisch und musikalisch klappen. Oft musste man daher mit dem originalen Inhalt Kompromisse machen, damit es überhaupt noch musikalisch funktioniert.« Er habe aber immer versucht, sich so nah wie möglich an die ursprüngliche Bedeutung zu halten.

Übersetz mal: »Und ich habe keine Zeit mehr / im Spalier herumzustehn, / und im Refrain ein bisschen mitzusingen, / und all den Bescheidwissern hinterherzugehn, / und jeden Tag nach meiner Wurst zu springen.« (aus: »Keine Zeit«) Robb/Leitenberger trauten sich: »And I haven’t any time left / to form a guard of honour / or sing along a little in the choir / or follow in the footsteps / of the know-it all’s / to the carrot on the stick I will say no.« Kann man machen. Noch schwieriger ist es wahrscheinlich, den Zeitgeist zu überlisten, der verordnet, doch lieber den Mund zu halten und mitzuschwimmen im Strom der Dummheit. Dass Gundermann dieses Kunststück gelang, darin liegt die Haltbarkeit seiner Songs durch die Jahrzehnte, sogar über das DDR-Sozialismusprojekt hinaus, mitten in die Ellbogengesellschaft hinein.

Diesbezüglich kennt sich David Robb aus, vor allem auch, weil er 1982/83 ein Jahr als Auslandsstudent in der DDR verbracht hat. So lernte er die dortige Folk- und Liedermacherszene kennen. Später kam er zurück nach Berlin, forschte und dozierte an der Humboldt-Uni, veröffentlichte 1998 zum Liedertheater Wenzel/Mensching das Buch »Zwei Clowns im Land des verlorenen Lachens«, besuchte auch Hoyerswerda, wo übrigens, wie er beiläufig erwähnt, noch Aufnahmen von der »Brigade Feuerstein« ihrer Entdeckung harren.

Schließlich war er beteiligt an »Gundermanns Lieder in Europa« und des ersten Versuchs mit in verschiedene Sprachen übersetzten Liedern und entwickelte die Idee, eine ganze CD auf englisch zu machen. Er erhielt Fördergelder von der britischen Arts-and-Humanities-Forschungsgemeinschaft (AHRC), und nunmehr liegt das Ergebnis auch hierzulande vor, veröffentlicht bei Buschfunk, zwischen Januar und Oktober 2023 in Redbox Studios Belfast von Dónal O’Connor produziert, eingespielt von Robb mit Paul Webster (Mandoline), Nick Scott (Bass und Gesang), Stephen Quinn (Schlagzeug), Bronagh Broderick (Gesang) und Colm McClean (E-Gitarre) und ohne Blasinstrumente.

Folglich entfallen die Flötenpassagen, in Gundermanns Begleitband Die Seilschaft so virtuos von Andi Wieczorek gespielt, und – in »Und musst du weinen« (»And if it makes you cry«) beispielsweise – nunmehr mehrstimmig vokal vorgetragen. Es macht die Songs insgesamt herber, und jedenfalls haben alle »im Studio mächtig Spaß daran gehabt, diese höchstmelodischen Songs von Gundermann im keltischen Folkrockstil neu zu interpretieren«, kommentiert Robb den Werdeprozess. »Ihre Themen von Siegern und Verlierern, Deindustrialisierung, Immigration und der Umwelt sind universell und genauso relevant heute, wie sie zu Lebenszeiten Gundermanns waren.«

Schade, dass der legendäre Londoner Marquee Club nun schon über 15 Jahre dicht ist und die Digitalisierung die kleinen Bands gefressen hat. Sonst wäre es vielleicht einfacher, Robbs Version von Gundermann-Songs auf den Inseln oder gar hinter dem großen Teich auch live zu verbreiten. Wie den »Siebten Samurai«, »Gras«, »Soll sein«, »Kämpfen wie Männer«, »Engel über dem Revier«, »Und musst du weinen« oder »Krieg«, zeitlos-brandaktuelle Werke, so schmerzhaft es manchmal auch sein mag heutzutage. »Darum, darum, Bruder ist Krieg / den ham wir uns jetzt vor die Füße gelegt.«

Dave Robb: »Filling Station for Losers. Songs of Gerhard Gundermann« (Buschfunk-Musikverlag)

www.songsofgundermann.com

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