Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 27.11.2024, Seite 12 / Thema
Frauenrechte

My body, my choice

Der Kampf um das Recht auf Abtreibung und zur Abschaffung des Paragraphen 218 geht in eine neue Runde
Von Brigitte Kiechle
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Für das selbstbestimmte Leben: Protestkundgebung im Berlin (21.9.2024)

Die Forderungen nach reproduktiver Gerechtigkeit und legalem Zugang zum Schwangerschaftsabbruch sind weltweit zentrale Anliegen der feministischen Bewegung. Rund um den Globus entscheiden sich jährlich 50 Millionen Frauen aus unterschiedlichen Gründen für einen Schwangerschafts­abbruch. Fast die Hälfte aller weltweit vorgenommenen Abtreibungen finden unter unsicheren Bedingungen statt. Vor allem in den Ländern, in denen Abtreibungen generell verboten oder nur unter strengen Auflagen möglich sind, ist das Risiko für eine Frau, an einer Abtreibung zu sterben, besonders hoch. Dies betrifft vor allem die Situation in Afrika und Südamerika. In vielen Ländern ist darüber hinaus bezüglich eines Schwangerschaftsabbruchs die Zustimmung des Ehemannes erforderlich. Der Staat greift über die Abtreibungsregelungen in die Lebensperspektive von Frauen meist aus bevölkerungspolitischen und religiös bestimmten Motiven ein. Dabei ist längst erwiesen, dass Abtreibungsverbote keinen Abbruch verhindern, sondern lediglich Auswirkungen auf die Sterberate und Gesundheitsbeschädigung von Frauen haben. In Kanada zum Beispiel gibt es keine Einschränkungen in Sachen Recht auf Abtreibung, und die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist geringer als in allen anderen Ländern.

Selbst entscheiden

Für Frauen geht es darum, selbst zu entscheiden, ob sie Kinder wollen, wann sie Kinder wollen und wie viele Kinder sie wollen. Jede Entscheidung sollte unter bestmöglichen sozialen Bedingungen erfolgen können. Dies setzt eine freie Entscheidungsmöglichkeit ohne wirtschaftlichen oder sozialen Zwang voraus. Bei der Betrachtung der unterschiedlichen Verbotsregelungen zum Schwangerschaftsabbruch wird deutlich, dass es nie allein um die Frage der Abtreibung geht. Es geht vielmehr auch darum, wer letztendlich über die Gebärfähigkeit der Frauen entscheidet: Antifeministen, Kirche und Staat – oder die Frauen selbst.

Der Kampf um den Zugriff auf die menschliche Reproduktion ist somit auch ein Kampf um die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Frauen stehen in dieser Auseinandersetzung an vorderster Front – als Opfer und als Akteurinnen. In den vergangenen Jahren ist ein weltweiter Aufschwung der Frauenkämpfe festzustellen. Viele feministische Mobilisierungen sind verbunden mit dem Kampf um eine selbstbestimmte Entscheidung über das eigene Leben und in diesem Zusammenhang auch das Recht auf Abtreibung. Diese Forderung wurde dabei nicht als losgelöst von den Rahmenbedingungen der realen Lebensverhältnisse gesehen. Die Abtreibungsfrage betrifft nicht nur gesetzliche Regelungen, sondern auch den tatsächlichen Zugang zu guten Abtreibungsmöglichkeiten und das Verständnis, dass Abtreibungsfragen zur Frauengesundheit gehören und deshalb auch durch Krankenkassen zu finanzieren sind. Und es gehört dazu der Kampf um ausreichende finanzielle Absicherungen, gute Wohnverhältnisse, ausreichende Kinderbetreuung etc. In vielen Ländern konnte Erfolge erzielt werden. Genannt seien zum Beispiel Irland, Malta und Argentinien. In Frankreich wurde das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung in die Verfassung aufgenommen.

Gleichzeitig ist festzustellen, dass Angriffe reaktionärer Kräfte auf erkämpfte Frauenrechte zunehmen. Reaktionäre und rückwärtsgewandte Vorstellungen über die Rolle von Frauen und Familie in der Gesellschaft gehören zu wesentlichen Schwerpunkten von Nazis, Rechtskonservativen und Religionsgemeinschaften aller Art. Der in vielen Staaten festgestellte Rechtsruck ist verbunden mit einem umfassenden Angriff auf erkämpfte Frauenrechte. So wurden die Erfolge der Frauen in Argentinien nach der Machtübernahme von Javier Milei sofort ins Visier genommen. Die neue Regierung hat angekündigt, das mühsam erkämpfte Recht auf Abtreibung wieder abzuschaffen.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland ist die Auseinandersetzung um den Paragraphen 218 des Strafgesetzbuchs (StGB), der die Abtreibungsfrage regelt, neu entbrannt. Im Gegensatz zu den meisten EU-Ländern ist ein Schwangerschaftsabbruch in der BRD immer noch prinzipiell verboten und nur in den ersten zwölf Wochen nach Zwangsberatung und dreitägiger Wartefrist zwischen Zwangsberatung und Termin zum Schwangerschaftsabbruch rechtlich »gerechtfertigt«. Mit der aktuellen bundesweiten Kampagne »Abtreibung legalisieren – jetzt« wurde ein längst fälliger Mobilisierungsschritt eingeleitet, um den öffentlichen Druck in Sachen ersatzlose Streichung des Paragraphen 218 StGB zu erhöhen und die weiteren Aktionen auf eine breite Basis zu stellen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass alle Umfragen der vergangenen Jahre gezeigt haben, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung sich für die Abschaffung des Paragraphen 218 StGB bzw. eine weitere Liberalisierung ausspricht. Wie wichtig die außerparlamentarische Mobilisierung ist, zeigt sich an den aktuellen Entwicklungen in Polen und den USA, auf die im folgenden besonders eingegangen wird, da sie uns wichtige Erfahrungen für unsere eigenen Kämpfe aufzeigen können.

Polen: »Nicht noch eine mehr!«

Im Jahr 1989 vollzog sich mit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Länder auch ein tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Umbruch. Für die Frauen war diese Entwicklung mit Angriffen auf die bisherigen Errungenschaften verbunden. In Polen zeigte sich dies in besonders krasser Weise am Beispiel des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen. In den meisten Ländern bestand zumindest seit den 1950er Jahren eine Fristenregelung bzw. weitgehende Indikationsregelung, so auch in Polen. Die katholische Kirche wurde zum einflussreichsten Akteur gegen Frauenrechte und führt bis heute die Hetzkampagne in Sachen Abtreibungen an. Bereits im Februar 1989 wurde ein Gesetzentwurf, der von den »Experten« der Bischofskonferenz ausgearbeitet worden war, mit dem Ziel eines kompletten Abtreibungsverbots vorgelegt. Dieser Entwurf scheiterte zunächst. In den folgenden Jahren wurden immer wieder entsprechende Vorstöße der Kirche vorgebracht. Dabei ging es neben einem Abtreibungsverbot um die Strafbarkeit des Handelns der betroffenen Frauen selbst. Im Jahr 1993 setzten sich die Abtreibungsgegner teilweise durch. Das neue Gesetz, als »Abtreibungskompromiss« bezeichnet, verneinte die Reproduktionsrechte der Frauen vollständig und sah einen legalen Schwangerschaftsabbruch lediglich bei Lebensbedrohung der Mutter, Behinderung des Fötus und Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung vor.

Bereits zum damaligen Zeitpunkt formierte sich frauenpolitischer Widerstand. Die Gegenseite brachte immer neue Gesetzentwürfe zur Verschärfung der Abtreibungsregelungen ein und konnte sich nach dem Regierungswechsel 2015 auf die Unterstützung der rechtskonservativen Partei »Prawo i Sprawiedliwość« (Recht und Gerechtigkeit, PiS) verlassen. Ein Schwangerschaftsabbruch sollte nur noch dann möglich sein, wenn akute Lebensgefahr für die Schwangere besteht. Mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren sollten die betroffene Frau sowie die Person, die die Abtreibung durchgeführt hat, verfolgt werden. Eine Abtreibung sollte selbst dann unter Strafe stehen, wenn die Schwangerschaft Resultat einer Vergewaltigung oder von Inzest war.

Die Frauen in Polen starteten eine landesweite Protestkampagne. Hunderttausende gingen bei rund 140 Demonstrationen im Land auf die Straße. Am 3. Oktober 2016 wurde zu einem nationalen Frauenstreiktag aufgerufen. Mit der erfolgten Massenmobilisierung erzwangen die Frauen zunächst die Rücknahme des Gesetzentwurfes, das heißt, er wurde nicht aufgehoben, sondern verschwand nur in der Schublade. Es war allen klar, dass die Auseinandersetzung um den Schwangerschaftsabbruch nicht beendet war, sondern weiter verstärkt werden müsse. In der Folgezeit wurden die Inhalte der Frauenkämpfe nun ausgeweitet gegen die rückwärtsgewandte Geschlechter- und Frauenpolitik der Regierung und auch gegen die Institution der katholischen Kirche. Dem reaktionären politischen Einfluss der katholischen Kirche wurde der Kampf angesagt.

Nach den zunächst erfolgreichen feministischen Mobilisierungen zeigten sich jedoch erste Spaltungslinien in der Bewegung. Es gab nun auch Gruppen, die der Auffassung waren, dass man sich mit Teilaspekten zufriedengeben sollte, um eine möglichst breite Bewegung zu erreichen. Dies erfolgte auf Kosten von Inhalten. Bei den Protesten fehlten nun zunehmend antikapitalistische Orientierungen und die Thematisierung der sozialen Frage. Die Gerichte wurden von der rechtsgerichteten PiS-Regierung auf Linie gebracht. Die polnischen Kirchenvertreter und auch Papst Franziskus dankten der polnischen Regierung für ihren »Einsatz für das Leben ab der Empfängnis«. Aufgrund der erbitterten Proteste wurde ein frauenfeindliches Urteil nicht veröffentlicht und zunächst nicht in Kraft gesetzt, um der Bewegung die Spitze zu brechen. Die Zusammenarbeit von ultrakonservativen Kirchenvertretern und rechten Politikern funktionierte auch weiterhin. So wurde etwa eine Verordnung erlassen, mit der festgelegt wurde, dass Schwangerschaften grundsätzlich registriert werden müssen. Als eine Frau im Krankenhaus starb, weil Ärzte aus Angst, sich selbst strafbar zu machen, keine Abtreibung durchführen wollten, kam es zu einer neuen starken Protestbewegung. Die Regierung und auch die Verfassungsrichter wurden für den Tod von Frauen aufgrund des restriktiven Abtreibungsgesetzes verantwortlich gemacht. Die Frauenbewegung sprach von staatlichem Mord.

Bereits im Wahlkampf 2023 zeigte sich eine deutliche Uneinigkeit in den frauenpolitischen Zusammenhängen bezüglich der weiteren Vorgehensweise. Es ging um die Sinnhaftigkeit einer Unterstützung der Liberalen. Donald Tusk versprach zunächst im Wahlkampf, die Frauenrechte zu verteidigen und insbesondere auch eine Liberalisierung in Sachen Abtreibungen voranzubringen. Diejenigen, die sich hier tatsächlich Hoffnungen gemacht haben, wurden zwischenzeitlich enttäuscht. Denn wie so oft wurde der Kampf um Frauenrechte den Koalitionserfordernissen geopfert, und auch bei den Liberalen von Tusk gab es keine einheitliche Meinung zu einem eingebrachten Gesetzentwurf zur Streichung des Straftatbestandes »Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch«. Letztendlich wurde die Frage der Liberalisierung des Abtreibungsrechts vertagt.

Der Kampf gegen die bestehenden Abtreibungsregelungen geht also weiter. Für die Frauenbewegung in Polen wird es wichtig sein, sich nicht für Wahlkämpfe instrumentalisieren zu lassen, sondern auf einen unabhängigen Kurs zu bestehen. Auch die Radikalität bezüglich Forderungen und Auftreten darf nicht aufgeweicht werden, da sich sonst die Kämpfe letztlich auf eine Verbesserung im Schlechten beschränken. Wichtig bleibt auch, den Kampf gegen die Abtreibungsverbote mit dem Kampf um eine solidarische Gesellschaft und die soziale Frage zu verbinden. In diesem Zusammenhang spielt auch der Kampf gegen die reaktionären Einmischungen der katholischen Kirche in das gesellschaftliche Leben in Polen eine wichtige Rolle und betrifft alle emanzipatorischen Kämpfe.

USA: Rollback

Offiziell ist die USA laut Verfassung ein säkularer Staat. Wenn es um das Thema Abtreibung geht, wird die öffentliche Diskussion jedoch durch rechtskonservative und religiöse Hardliner bestimmt. Schon seit Jahren findet ein vehementer Angriff auf bestehende Abtreibungsbestimmungen statt. Bereits 2017 wurden unter der damaligen Regierung Donald Trumps mehr als 400 Vorschriften auf Landesebene eingeführt, die den Zugang zur Abtreibung einschränkten. Die Auseinandersetzungen um den Schwangerschaftsabbruch sind seit Jahren ein zentrales gesellschaftliches Kampffeld. Vor allem klerikale Gruppen in Zusammenarbeit mit rechtsradikalen und konservativen Kreisen bewerten Abtreibung als Mord, setzen sich für die vollständige Abschaffung von Abtreibungsrechten ein und kämpfen für Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung einer Gebärpflicht. Immer wieder wurden Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, physisch attackiert und auch umgebracht.

In Washington hat der Oberste Gerichtshof der USA am 24. Juni 2022 mit dem Urteil in der Rechtssache Dobbs vs. Jackson das seit 1973 geltende bundeseinheitliche Recht auf einen garantierten Schwangerschaftsabbruch gekippt. Dadurch wurde es möglich, dass die einzelnen Bundesstaaten ihre Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch selbst festlegen. Überall dort, wo die Republikaner den Gouverneur stellen und die parlamentarische Mehrheit haben, wurde dies auch unverzüglich im Sinne der Konservativen umgesetzt. Aktuell gleichen die USA in Sachen Abtreibung einem Flickenteppich, denn in den verschiedenen Bundesstaaten gelten nun sehr unterschiedliche Regelungen.

Für viele Frauen bedeutet dies in der Praxis, in andere Bundesstaaten auszuweichen, um dann dort einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Dies bedeutet aber Unsicherheit, Stress und vor allem auch zusätzliche Kosten, die sich nicht alle Frauen leisten können. In den USA zeigen die Umfragen, dass knapp zwei Drittel der US-Bevölkerung legale Abtreibungen befürworten, während nur ein gutes Drittel Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich oder in den meisten Fällen verbieten will. Dies hielt die republikanischen Abgeordneten in Arizona nicht davon ab, ein Abtreibungsverbot wieder in Kraft zu setzen, das aus einer Zeit stammt, zu der Frauen noch das Wahlrecht vorenthalten wurde. Der dortige oberste Gerichtshof hatte am 9. April 2024 geurteilt, dass ein entsprechendes Gesetz aus dem Jahr 1864 wieder in Kraft treten dürfe. Danach sind Abbrüche nur erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Eine Ausnahme bei Vergewaltigungen oder Inzest ist nicht vorgesehen. Medizinisches Personal oder auch andere Personen, die einen Abbruch ermöglichen, können strafrechtlich verfolgt werden und müssen mit zwei bis fünf Jahren Gefängnis rechnen. Im Präsidentschaftswahlkampf wurde das Thema Abtreibung zu einem zentralen Thema. Insbesondere Kandidaten der Republikaner traten mit sexistischen Aussagen zum Beispiel über Kinderlose hervor. So äußerte Trumps Vizekandidat James David Vance, dass Kinderlose in einer Demokratie weniger zu sagen haben sollten, und behauptete, Menschen ohne Kinder tendierten eher dazu, gestört zu sein.

Die Demokratische Partei, damals unter Präsident Joe Biden, hat nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Sommer 2022 das Thema aufgegriffen und von einer Revision dieser Entscheidung gesprochen. Eine wirkliche Aktivität dahingehend war jedoch nicht gegeben. Eine konkrete Unterstützung der Frauenproteste blieb aus. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Demokraten in Washington das Thema Abtreibung aus wahltaktischen Gründen aufgegriffen haben, um insbesondere Frauen als Wählerschicht anzusprechen.

Die Entwicklung in den USA verdeutlicht, wie schnell es bei der Zusammenarbeit und Vernetzung von klerikalen, rechtsradikalen und konservativen Kräften möglich ist, Errungenschaften der Frauen zurückzunehmen. Dies betrifft nicht nur die Frage der Abtreibung, sondern die ganze Lebenssituation von Frauen. Die Antifeministen aller Couleur wollen ein Zurück unter dem Motto »Kinder, Küche, Kirche«.

Die Frauenbewegung in den USA hat nicht zuletzt am 21. Januar 2017 mit dem »Women’s March« gezeigt, dass sie in der Lage ist, fünf Millionen Menschen gegen die sexistische und frauenverachtende Politik von Präsident Trump auf die Straße zu bringen. Aufgerufen dazu hatten unterschiedliche Frauenverbände. »Wir werden es nicht zulassen, dass unsere Körper von Männern in der Regierung besessen und kontrolliert werden«, so eine Teilnehmerin der Kundgebung. Eine derartige Mobilisierung hat seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 2022 nicht stattgefunden. Es ist die Herausforderung der US-amerikanischen Frauenbewegung, sich nicht an Politikerversprechen zu orientieren, sondern erneut den Kampf auf die Straße zu bringen.

Ein neuer Aufbruch

Objektiv ist die Frage des Schwangerschaftsabbruchs ein zentraler Punkt feministischer Befreiungstheorie. Die Entscheidung gegen eine Schwangerschaft oder für Mutterschaft ist eine Entscheidung für ein ganzes Leben. Und auch wenn sich in Sachen Frauenrechte in den vergangenen Jahren einiges bewegt hat, so hat sich die strukturelle Unterdrückungssituation und Ungleichheit nicht verändert. Dazu gehört auch die immer noch bestehende grundsätzliche Kriminalisierung von Frauen durch den Paragraphen 218 StGB. Für viele Frauen ist die Tatsache, dass ein Schwangerschaftsabbruch in der BRD grundsätzlich verboten ist, überhaupt nicht präsent. Frau hat sich in vielen Fällen mit den Gegebenheiten arrangiert, dabei zeigen gerade die Entwicklungen in Polen und den USA, dass wir uns auf sehr dünnem Eis bewegen, das jederzeit brechen kann.

Die Ampelregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag eine Liberalisierung des Paragraphen 218 StGB in Aussicht gestellt. Durchgerungen hat sie sich lediglich zu Verbesserungen in Teilbereichen. So wurde der Paragraph 219 a StGB (Werbeverbot) in der alten Form aufgehoben und auch ein Abstandsverbot für »Lebensschützer« vor Frauenberatungsstellen erlassen. Das prinzipielle Abtreibungsverbot wurde jedoch bisher nicht angetastet.

Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Initiative »Abtreibung legalisieren – jetzt« entstanden. Hintergrund ist die Überlegung, das gegebene Zeitfenster bis zu einer Neuwahl für eine Mobilisierung gegen den Paragraphen 218 StGB zu nutzen. Dabei war von Anfang an klar, dass mit dem Ende der aktuellen Kampagne mit den beiden Großkundgebungen in Berlin und Karlsruhe am 7. Dezember dieses Jahres die Auseinandersetzung nicht beendet sein wird. Sollte es tatsächlich noch zu einer Liberalisierungsentscheidung kommen, so wird diese gewiss nicht die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218 StGB sein, wird doch aktuell lediglich darüber diskutiert, eine Neufassung der Abtreibungsregelungen außerhalb des Strafgesetzbuchs ohne substantielle Änderungen vorzunehmen.

CDU/CSU und AfD haben bereits angekündigt, in einem solchen Fall das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Bei den anstehenden Neuwahlen ist außerdem realistischerweise nicht davon auszugehen, dass sich die politische Lage für die Ausweitung von frauenpolitischen Rechten verbessern wird. Im Gegenteil: Der vor sich gehende Rechtsruck wird auch die bisher erkämpften Rechte zur Disposition stellen. Wenn die Erfahrungen gerade der polnischen Frauenbewegung und den Frauen aus den USA berücksichtigt werden, wird deutlich, dass es nach wie vor erforderlich ist, eine große breite Bewegung zur Durchsetzung reproduktiver Gerechtigkeit zu schaffen.

Die jetzige Kampagne kann dafür nur ein Anfang sein. Denn sobald der Druck der Frauenbewegung von unten nachlässt, erhöht sich der politische Spielraum des antifeministischen Spektrums. Feministischer Widerstand wird in den nächsten Jahren dringend geboten sein. Wenn wir Verschlechterungen verhindern wollen, dürfen wir unsere Forderungen nicht auf Gleichheit in der Ungleichheit reduzieren lassen, sondern müssen an unserem Ansatz der Frauenbefreiung und der Forderung für ein gutes Leben für alle festhalten. Dazu brauchen wir eine starke feministische Bewegung, die in der Lage ist, in aktuelle Auseinandersetzungen einzugreifen, und Frauenbefreiung als notwendige Voraussetzung einer antikapitalistischen Perspektive begreift.

Brigitte Kiechle ist Autorin des Buchs »Frauen*streik: Die Welt steht still, wenn wir die Arbeit niederlegen!« und aktiv im Karlsruher »Frauenbündnis 8. März«

7. Dezember 2024, 13 Uhr Berlin (Alexanderplatz) und Karlsruhe (Kronenplatz)

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