Le Pen vor Gericht
Von Luc Śkaille, BrüsselWegen der Scheinbeschäftigung von Assistenten im EU-Parlament und der Veruntreuung öffentlicher Gelder wird Mitgliedern des rechten Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen derzeit in Paris der Prozess gemacht. Die Verhandlungen sollen am Mittwoch enden. Der Schaden in Millionenhöhe könnte die aufstrebende Rechtsaußenpartei schwächen, denn das Verfahren vor dem Strafgerichtshof gefährdet nicht nur das angestrebte Saubermann-Image – auch ein Ausschluss von Parteimitgliedern von zukünftigen Wahlen steht im Raum.
Zuletzt befand sich der RN im Aufwind. Nachdem Präsident Emmanuel Macron als Reaktion auf die Niederlage seiner Regierungsallianz bei der EU-Wahl überraschend die Nationalversammlung am 9. Juni aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen hatte, wurde die Partei in der ersten Runde der Wahlen stärkste Kraft. Aktuell wird Le Pen und ihren Mitarbeitern aber der Prozess wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder gemacht. Sie sollen in den Jahren 2004 bis 2016 die Abzweigung von für EU-Parlamentsassistenten vorgesehenen Mittel organisiert haben, um Aktivitäten der Partei zu finanzieren. Die Verfahren wurden 2017 eröffnet, als die EU-Parlamentarierin Catherine Griset und weitere 15 Parteimitglieder ins Visier der Behörden gerieten. Die Staatsanwaltschaft eröffnete damals Ermittlungen wegen besonders schwerer Fälle des Vertrauensmissbrauchs, Hehlerei‚ organisiertem Bandenbetrug, Fälschung und Scheinbeschäftigung. Mehrere Hausdurchsuchungen richteten sich gegen die Le-Pen-Familie und ihre Partei.
Mehrere Hinweise beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) hatten die Ermittlungen bereits 2014 ins Rollen gebracht. Die Betroffenen verweigerten mit dem Verweis auf ihre »diplomatische Immunität« weitgehend die Zusammenarbeit mit den Behörden. Seither wurden die Ermittlungen auf weitere 25 Parteimitglieder ausgeweitet. Der vermutete Schaden wird auf fünf bis sieben Millionen Euro beziffert. Laut Staatsanwaltschaft stand Marine Le Pen dabei »im Zentrum eines organisierten Systems«. Als ein Beleg für diese Annahme dienten die schon 2015 übermittelten Unterlagen von Nicolas Franchinard, einem ehemaligen Assistenten dreier Front-National-Abgeordneter.
Das Plädoyer von Staatsanwältin Louise Neyton in der vergangenen Woche wurde von Rechten scharf kritisiert. Einen Freispruch zu fordern »täte mir zu sehr weh«, sagte Neyton während ihrer Ausführungen. Allerdings betraf diese Aussage nicht die mafiösen Machenschaften des RN in Gänze, sondern bezog sich ausschließlich auf die Strafverfolgung eines wegen Krankheit abwesenden Mitglieds. Handfeste Beweise wegen Hehlerei und Veruntreuung lagen gegen den 67jährigen nicht vor. Die Staatsanwältin bekräftigte, sie wolle die Entscheidung der vorsitzenden Richterin überlassen und könne bezüglich dieses Angeklagten keine Empfehlung aussprechen.
Für Marine Le Pen, der etwa wegen der Beschäftigung von vier Scheinassistenten eine zentrale Rolle zugeschrieben wird, ist das Plädoyer der Staatsanwaltschaft »besonders unverschämt«. Es gehe offensichtlich darum, die vom Volk bevorzugte Wahlalternative zu verhindern. Man müsse »blind und taub« sein, um das nicht zu erkennen, so die ehemalige Parteichefin im Anschluss an die Plädoyers. Sogar Macrons Exinnenminister Gérald Darmanin sprang Le Pen zur Seite und schrieb Mitte November bei X: »Ein Wahlausschluss wäre zutiefst schockierend«.
Die Staatsanwaltschaft strebt an, alle Angeklagten zu verurteilen. Im Raum stehen Strafen zwischen zehn und 18 Monaten Haft, die zum Teil auf Bewährung ausgesetzt werden könnten. Darüber hinaus sollen alle Beschuldigten über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren und mit sofortiger Wirkung von Wahlen ausgeschlossen werden. Zudem soll die Partei 4,3 Millionen Euro Strafe zahlen.
Die Plädoyers der Verteidigung werden in dieser Woche vorgetragen. Ein abschließendes Urteil wird erst im Januar erwartet. Die Konsequenzen des Prozesses könnten für Frankreichs erfolgreichste rechte Partei ernsthafte Probleme bringen. Für Le Pen fordert die Staatsanwaltschaft fünf Jahre Haft, wovon zwei von ihr hinter Gittern verbracht werden sollen. Außerdem könnte die Strafe für Le Pen auf 300.000 Euro Schadenersatz und einen sofortigen fünfjährigen Ausschluss von Wahlen lauten. Das bezeichnet die Politikerin als »politische Todesstrafe«. Sollte das Gericht der Staatsanwaltschaft folgen, wäre ihre Präsidentschaftskandidatur für 2027 vom Tisch.
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