Fremdjustiz auf Bundesterritorium
Von Ralf WurzbacherEin Skandalurteil eines US-amerikanischen Militärgerichts in Rheinland-Pfalz sorgt für reichlich Empörung, aber die Bundesregierung interessiert sich nicht dafür. Am 19. August 2023 kommt der 28jährige Michael Ovsjannikov auf der Säubrennerkirmes in Wittlich in der Eifel durch eine Messerattacke ums Leben. Tags darauf legt ein US-Soldat vor deutschen und US-Ermittlern ein umfassendes Geständnis ab, beschreibt den Tathergang, die Tatwaffe und wie er sie in einem nahen Flüsschen versenkte. »Ich habe der anderen Person einmal in die rechte Körperseite gestochen, möglicherweise auch ein zweites Mal«, soll der 26jährige Soldat laut Bild zu Protokoll gegeben haben.
Der Fall schien klar, wurde dann aber von den deutschen Behörden an die US-Justiz übergeben. Die fragliche Jury sprach ihn schließlich vor knapp sechs Wochen in allen Anklagepunkten frei – ohne Urteilsbegründung.
Die Entscheidung fiel auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem, vor dem sich wenige Tage später 700 Menschen zum Protest versammelten. Dabei skandierten sie »Justice for Micha«. Der Getötete war wohl in der Tatnacht mit zwei GIs in Streit geraten und nach Stichen in den Rücken verblutet. Am vergangenen Sonntag fanden sich erneut Demonstranten vor der Airbase ein, diesmal rund 200, ausgestattet mit Deutschlandfahnen und die Nationalhymne spielend. Die Beteiligten sind keine Nazis, die Symbolik sollte ihre Botschaft unterstreichen: Hierzulande dürfe nicht länger eine fremde Gerichtsbarkeit Recht beziehungsweise Unrecht sprechen. Dazu ihre Forderung, der Prozess müsse neu aufgerollt werden – vor einem deutschen Gericht.
Aber die Trierer Staatsanwaltschaft winkte ab, nach US-Recht könne sie keine Berufung einlegen. Dabei türmen sich die Merkwürdigkeiten. Wie am Montag der Focus schrieb, hatten die Geschworenen von dem Geständnis des Beschuldigten keine Kenntnis, weil der fragliche Militärrichter es als unzulässig eingestuft habe, wie auch weitere Beweismittel. Von US-Seite heißt es, der Beklagte habe seine Aussagen nicht freiwillig getätigt, sei nicht über Ovsjannikovs Tod unterrichtet und nur wegen des Verdachts schwerer Körperverletzung verhört worden. Oberstaatsanwalt Peter Fritzen wies diese Darstellung als »unzutreffend« zurück, dem Befragten sei mitgeteilt worden, dass aufgrund eines Tötungsdelikts ermittelt werde. Auch sei der Mann nicht erheblich alkoholisiert gewesen (0,2 Promille), was aber die Gegenseite zu seinen Gunsten geltend machte. Letztlich läuft die Argumentationslinie des US-Gerichts auf den Vorwurf hinaus, die deutschen Behörden hätten ein falsches Geständnis erpresst.
Das allein sollte schon diplomatische Irritationen auslösen. Aber das Bundesjustizministerium tut so, als wäre nichts passiert. In der Bundespressekonferenz dazu befragt, äußerte eine Sprecherin des Ministeriums am 20. November: »Ich kann an dieser Stelle weder ausländische Urteile kommentieren, noch haben wir eine Meinung zu diesem Vorgang.« Aber warum kann die US-Justiz auf deutschem Boden US-Recht sprechen? Eigentlich hat nach dem NATO-Truppenstatut der Aufnahmestaat im Fall eines Rechtsbruchs ausländischer Militärangehöriger das Vorrecht, den entsprechenden Prozess zu führen. Allerdings gibt es ein Zusatzabkommen aus dem Jahr 1963 samt einer »geheimen Note«, die unter anderem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses in der BRD aufhebt und es den USA überdies erlaubt, ins System der deutschen Strafverfolgung einzugreifen.
Viele Staatsrechtler nennen die Vereinbarung verfassungswidrig und ein Zeugnis eingeschränkter Souveränität Deutschlands gegenüber dem »großen Bruder« jenseits des Atlantiks. Immerhin hat inzwischen der rheinland-pfälzische Justizminister, Herbert Mertin (FDP), im Licht des US-Urteils angekündigt, »die Durchführung des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens« auf den Prüfstand stellen zu wollen. Und die Bundesregierung? Gefragt danach, ob man die Regelung nicht aufkündigen solle, beschied eine Sprecherin: »Dafür sehen wir keinen Grund.«
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