75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 28. November 2024, Nr. 278
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 28.11.2024, Seite 7 / Ausland
Westbank

Der ganz normale Wahnsinn

Westbank: Israel zerstört täglich palästinensische Infrastruktur. Bericht zeigt, wie europäische Finanzinstitute Israels Besatzung unterstützen
Von Gerrit Hoekman
7.JPG
Schon im Stillstand monströs: Von Israels Armee eingesetzter Bulldozer am Mittwoch im Flüchtlingscamp Faraa

»Trotz aller Schwierigkeiten, mit denen wir heute konfrontiert sind, glauben wir, dass die Besetzung, egal wie brutal und schrecklich sie auch ist, ein Ende haben wird«, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur WAFA am Dienstag aus einer Rede des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas anlässlich des Internationalen Tags der Solidarität mit Palästina. Das Ende der israelischen Besatzung sei der Schlüssel zu regionaler Stabilität, Frieden und Sicherheit in der Region.

Dass der 89jährige Fatah-Politiker diesen Tag noch erleben wird, ist eher unwahrscheinlich, denn aktuell setzt Israel die Unterdrückung palästinensischer Selbstbestimmung unbeeindruckt fort. Auf der Westbank stürmten am Mittwoch morgen israelische Soldaten mehrere Häuser in der Stadt Tubas und im nahe gelegenen Flüchtlingslager Faraa, berichtete die palästinensische Nachrichtenseite Maan. Augenzeugen zufolge zerstörten die Besatzer mit Bulldozern Straßen, Wasserleitungen und das Stromnetz. Im Dorf Turmus Ajja nördlich von Ramallah konfiszierte die Armee in der Nacht zu Mittwoch das Haus eines Palästinensers und wandelte es in einen Militärstützpunkt um. Das Gebäude liegt direkt gegenüber einer Schule für Jungen. Vor einer Woche hatte die Armee den Sohn des Hausbesitzers verhaftet, meldete WAFA.

Am Dienstag riss die Armee im Dorf Bartaa zwei Geschäfte nieder. Die Gemeinde ist geteilt: in einen israelischen Teil, in dem überwiegend Palästinenser leben, die einen israelischen Pass besitzen, und einen, der völkerrechtlich zwar zur Westbank gehört, aber auf der israelischen Seite der von Israel auf palästinensischem Territorium errichteten Grenzmauer liegt. Ostbartaa ist deshalb eine Enklave: Die Bürgerinnen und Bürger dürfen den israelischen Westteil des Ortes nicht ohne Genehmigung betreten, selbst wenn sie Verwandte besuchen wollen, die nur wenige Schritte entfernt wohnen.

Das sorgt für eine Vielzahl von Problemen: Wer zum Beispiel in Ostbartaa ernsthaft krank wird, muss sich in einem Hospital auf der Westbank behandeln lassen, benötigt dazu aber einen israelischen Passierschein, um überhaupt durch die Mauer zu dürfen. Für Israelis gilt diese Beschränkung natürlich nicht, sie dürfen hin und her, wie sie wollen, ohne vorher eine Erlaubnis beantragen zu müssen. Viele von ihnen kommen gerne am Wochenende zum Einkaufen in den palästinensischen Teil von Bartaa, weil es dort billiger ist. Es ist der ganz normale Wahnsinn auf der israelisch besetzten Westbank.

Dass Israel seine völkerrechtswidrigen Siedlungen auf der Westbank immer weiter ausbauen kann, daran trägt auch die EU eine Mitschuld. 822 europäische Finanzinstitute, also Banken, Versicherungen oder Investmentfonds, pflegen Geschäftsbeziehungen zu 58 europäischen Firmen, die »aktiv in israelische Siedlungen involviert« sind, zitierte Reuters aus einem Bericht der NGO-Koalition »Don’t Buy into Occupation« (auf deutsch etwa: Kauf dich nicht in die Besetzung ein, DBIO), der am Dienstag veröffentlicht wurde. 2023 sind es noch 776 Finanzinstitute gewesen. »Die Anzeichen deuten darauf hin, dass die Dinge in die falsche Richtung gehen«, sagte Andrew Preston von Norwegian People’s Aid, einer der 25 europäischen und palästinensischen Gruppen, die an der Studie beteiligt waren. »Unserer Ansicht nach sollten die europäischen Finanzinstitute ihre Vorgehensweise gegenüber Unternehmen, die an der illegalen Besetzung beteiligt sind, dringend überdenken«.

Zu den in der Studie aufgeführten Finanzinstituten gehören die Deutsche Bank, Commerzbank, DEKA und die Allianz. In der Liste der 58 Firmen, die direkt oder indirekt an den israelischen Siedlungen verdienen sollen, finden sich zum Beispiel der US-amerikanische Schwermaschinenhersteller Caterpillar, das Hotelbuchungsportal Booking.com, der Bierbrauer Carlsberg und die französische Supermarktkette Carrefour. Aus Deutschland sind der Studie zufolge TUI, Siemens, MAN, Axel Springer und das Bauunternehmen Heidelberg Materials vertreten.

kurzlinks.de/DBIO

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Mit dem letzten Hab und Gut: Binnenvertriebene Palästinenser im ...
    20.11.2024

    Hilfskonvoi geplündert

    Schwere Verwüstungen im Norden des Gazastreifens. Hamas geht gegen Bandenkriminalität vor
  • So sehen die »präzisen« Schläge also aus: Frau in Beiruts zerstö...
    19.11.2024

    Häuser und Zelte im Visier

    Israel greift Libanon und Gaza pausenlos aus der Luft an. Hisbollah reagiert verhalten auf US-Vermittlungsvorschlag
  • Von Polizisten geschützt, wurde am Donnerstag die Moschee im Bed...
    15.11.2024

    Vertreibung beabsichtigt

    UN-Ausschuss sieht »Merkmale eines Genozids« in Gaza. Israelische Armee zerstört Beduinendorf im Negev

Mehr aus: Ausland

                                 Heute 8 Seiten extra – Beilage zum Thema: Junge Welt-Fotowettbewerb