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Aus: Ausgabe vom 28.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Punk

Ziemlich gut gelaunt

Amyl and the Sniffers spielten in der Berliner Columbiahalle
Von Norman Philippen
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»I am hot always« – Amy Taylor (Amyl and the Sniffers)

Eine allgemein gehypte australische Pub-/Punkrockband, die die deutsche Qualitätsjournaille begeistert und deren letzter Berliner Gig gar im Tagesspiegel besprochen wird, kann so doll nicht sein. Sollte man meinen. Da kann es maximal um »nihilistischen Krawall für alle« (Taz)
gehen, der Taz-Redakteurinnen super gefällt, die zu klemmig/ausgeschlafen sind, den ersten Song des neuen Albums »Cartoon Dark‑ness« (»You’re an asshole […] / I am hot always […] /Don’t wanna be stuck in that negativity«) begeistert zu zitieren, aber die fünf auf »You’re an asshole« folgenden Worte nicht in die Tastatur zu bringen. Du bist eine dumme Fotze (»You’re a dumb cunt«). Also nicht die Redakteurin, aber so geht’s nun mal weiter im Text von »Jerkin«, der
frauenhassende Incels amüsant attackiert.

Ob Pubrock, zumal 2024, in einer ausverkauften Columbiahalle (am 23. November) rocken kann? War ungewiss. Da Textzensur live aber nicht zu befürchten war, bin ich hin zur Punkband, die nun sogar für den Apple-Konzern Werbung macht respektive umgekehrt. Und wurde erneut von der langen Lücke zwischen Vorband und Hauptact angefressen, die in der Columbiahalle thekenumsatzbedingte Tradition ist. Appetit auf mehr von Party Dozen, das zum Anheizen loslegte, kam dann aber schon mit Song Nummer eins des Duos aus Sydney. Ein Drummer und eine Saxophonistin, je nun, das sah nicht vielversprechend aus. Hörte sich dann aber so unfasslich gut an, dass statt einer Beschreibung hier der heiße Tip genügen soll, sich Kirsty Tickle und Jonathan Boulet bei Gelegenheit einfach selbst anzuhören. Zwei Leute, die also mit einem Sechstel der vom Bandnamen evozierten Besetzung diesem absolut gerecht werden und nach einem Partydutzend tatsächlich klingen, sind so leicht nicht zu finden.

Ideal wäre gewesen, hätten Amy Taylor und ihr Schniefertrio das Duo ohne viel Federlesen stante pede ablösen und loslegen können. Realiter aber lesen Bands heutzutage besser aufmerksam Verträge und kommen dann Punkt 21 Uhr auf die Bühne (um exakt so lange zu rocken ’n’ rollen, wie es der Veranstalter wünscht). Dafür, dass sie 1996 geboren wurde und anstatt in wilden in cartoonhaft dunklen Wendezeiten performen muss, kann Amy nichts. Für eine wilde Show allerdings kann sie sorgen. So wie am Sonnabend. »Freude und Wut, rohe Energie und Systemkritik stehen beim Konzert der australischen Punk-Queen in der Columbiahalle nebeneinander«, fasst Tagesspiegler Jan-Malte Wortmann die Show zusammen. Und liegt nicht so falsch damit, wenn ich auch vorwiegend ein erstaunlich altes, ziemlich gut gelauntes, freundliches Publikum nebeneinander stehen, strahlen und mitsingen sah und von Systemkritik allein in der einzigen Ansage Taylors was vernahm. Es sei denn, »Fuck cops« geht als solche durch.

Less talk, more rock sowie weniger Textil, mehr Appeal lautete die eingelöste Formel der »Punk-Queen«. Können die ihr zwar in Sachen Charisma und Präsenz kein Wässerchen reichen, sollte fairerweise erwähnt werden, dass ihre drei Bandkollegen auch auf der Bühne standen und mich irgendwie daran erinnerten, dass Schulmädchen oft schon in Blüte stehen, während ihre Klassenkameraden noch auf das erste Sackhaar hoffen. Wie erfolgreich die Band wohl wäre, würde sich Amy drei Mitspielerinnen von ihrergleichen ins Bandboot holen? Allerdings sind die Sniffers bereits ziemlich erfolgreich, wurde just erst eine US-Tour als Vorband der Foo Fighters absolviert und ist ein Ende des Hypes nicht abzusehen. Dass dieser gute Gründe hat, konnte die Band am Sonnabend beweisen. Auch dank der Tontechniker, die dafür sorgten, dass der präzis taktgenaue Stakattogesang und die guten Texte Ms. Taylors fast noch besser wirkten als auf den Studioaufnahmen. Wer den Geheimtipp vom vorletzten Jahr in diesem live verpasst hat, kann im nächsten gucken gehen, ob die Sniffers auch für 20 Euro Aufpreis in der Zitadelle Spandau noch Spaß bringen.

Amyl and the Sniffers: »Cartoon Darkness« (Rough Trade)

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