Gefährliche Freundin
Von Manfred HermesMan kann nicht behaupten, dass es die Firma Saint Laurent groß ausgenutzt hätte, den neuen Film von Jacques Audiard produziert zu haben. Die schönen Produkte des Modehauses werden nur sehr sparsam vorgeführt. Auch Audiards dominantes Spannungsmotiv wurde nicht korrumpiert: die Bedrohlichkeit der Gewalt und die Faszination, die sie ausübt. Das Leben einer gefährlichen Person berührt das einer anderen, die harmloser oder weniger mutig ist, sich vom neuen Risikohorizont trotzdem angezogen fühlt und sich verwickeln lässt. Oft geht es bei dieser Anziehungskraft um Geld, auch in »Emilia Pérez«.
Rita Mora Castro (Zoe Saldaña) ist als Anwältin für Zuträgerarbeiten zuständig, deren Früchte immer die anderen ernten (Männer, Weiße). Weil ihre Kanzlei auch Großkriminelle vertritt, erregt die Frau aus der zweiten Reihe die Aufmerksamkeit von Juan »Manitas« Del Monte, einem notorisch brutalen Narco-Boss (Karla Sofía Gascón). Schon der erste Kontakt entfaltet eine Unterwelt mit dem erwartbaren Drumherum: Männerarmeen, schwere Waffen, Tätowierungen von oben bis unten, mit Gold überkronte Zähne. In Nahaufnahmen sieht Del Monte wie der Teufel persönlich aus.
Auch sein Angebot hat diabolische Züge, Rita ahnt aber, dass es für sie dabei viele Vorteile geben wird. Del Montes Pläne erstaunen sie allerdings auch. Der gefährliche Mann will mit allem abschließen, was sein Leben bisher bestimmt hat, sich vom Erdboden verschlucken lassen, um dann als schöne Dame wiederaufzuerstehen. Rita soll sich um den Kleinkram kümmern.
So maskulin, verschwitzt und hyperbedrohlich der dramatische Vorbau von »Emilia Pérez« auch war, sobald Rita Mexico City verlässt, um nach einer diskreten Klinik zu suchen, löst sich das Harte auf und wird weich und leicht. Gerade überprüft sie eine entsprechende Chirurgie in Thailand, da hebt Musik an, und die Ärzte und Krankenschwestern beginnen zu tanzen und zu singen wie in einem Musical. Rita wird sich aber für eine weniger unterhaltsame Klinik in Tel Aviv entscheiden.
Die Del Montes geschlechtlicher Transition folgende Szene ist sehr gut darin, den Sprung über diese Klippe und das Glück dieses Heroismus zu zeigen. Sie erinnert an eine Passage in Jean Genets »Ein verliebter Gefangener«, seltsamerweise in einem Buch über den Kampf der Palästinenser mit ihrer schon da absehbaren religiös moralisierenden Überformung: »Wenn der Jüngling nach vielen Tagen der Unruhe und des Zweifelns beschließt, im Sinne des ziemlich grässlichen Wortes Transsexualität zum anderen Geschlecht überzuwechseln, wenn also sein Entschluss feststeht, dann überkommt ihn eine große Freude bei dem Gedanken an sein neues Geschlecht, an die beiden Brüste, die er mit seinen zu kleinen und feuchten Händen wird streicheln können, und an die Epilation; aber vor allem wird er – in dem Maße, wie sein altes Geschlecht verwelken und, wie er hofft, abfallen wird, weil unbrauchbar geworden – eine fast an Wahn grenzende Freude empfinden, wenn er von sich selbst sprechend nicht mehr ›er‹, sondern ›sie‹ sagen und dabei begreifen wird, dass auch die Grammatik zweigeteilt ist und, um sich selbst sich drehend, mit einer Hälfte, der weiblichen, sich auf ihn bezieht, während die andere Hälfte der Sprache aufgezwungen war. Der Übergang von der einen zur nicht behaarten anderen Hälfte muss köstlich und schrecklich sein.«
Diese Hilarität überdauert in »Emilia Pérez« nicht diesen Moment. Es ist auch nicht so, dass sich Audiard groß mit den praktischen oder sexuellen Aspekten aufhalten würde, die sich aus dem Wegfall des Penis ergeben. Denn auch nachdem Del Monte »den verhassten, wenngleich vertrauten männlichen Gang aufgibt« und den »Wechsel von der Welt der langen Hose in die des BHs« (Genet) vollzogen hat, besteht ja weiterhin die Notwendigkeit, Alltagsdinge zu organisieren. Die Ehefrau (Selena Gomez) muss ausgetrickst, die Kinder versorgt und ein neuer Wohnort gefunden werden (Schweiz).
Immerhin ist Emilia Pérez, wie sich Del Monte von nun an nennt, ein zufriedenerer, vielleicht sogar ein besserer Mensch. Allerdings hatte der israelische Chirurg ihr auch noch eine Ermahnung mitgegeben: Egal, wie anders Sie jetzt aussehen, vieles wird trotzdem ganz gleich bleiben. Das ist ein zentraler Satz in diesem Film. Und Gascón – die Pérez-Darstellerin ist selbst trans – verkörpert die Ambivalenz von Sensibilität und Aggressivität sehr effektiv. Auch physisch nimmt man ihr ab, dass irgendwo in dieser neuen Weichheit ein Sprengsatz steckengeblieben ist, der jederzeit losgehen kann.
Dann sagt eine Texttafel: Vier Jahre später. London. Auf einem Dinner treffen die beiden Frauen Emilia und Rita erneut aufeinander. Das ist nicht der Zufall, für den Rita das zuerst hält. Vielmehr wiederholt sich der erste Kontakt mit seiner ganzen Bedrohlichkeit, und doch ist das Spielfeld jetzt um 180 Grad gedreht, wenn auch etwas zu reziprok. Emilia hat genug vom Herumreisen und zudem neue Ansprüche entwickelt: Sie will den Kontakt zu Ehefrau und Kindern wiederaufnehmen, nach Mexiko zurückkehren, dann die Welt verbessern.
Das soll eine NGO übernehmen, die die Angehörigen der Toten und Verschollenen der mexikanischen Drogenkriege unterstützt. Pérez versucht damit wiedergutzumachen, was sie als Del Monte selbst angerichtet hat. Und Rita soll sich wieder mal um die Einzelheiten kümmern.
Für die Anwältin, die sich ihre Mandanten inzwischen selbst aussuchen kann, sind das zunächst beklemmende Aussichten. Aber dann sagt ihr Emilias zivilgesellschaftlicher Ansatz doch irgendwie zu. Sie macht also mit, sogar gerne. Hilfreich ist dabei, dass zwischen den beiden Frauen eine Freundschaft entstanden ist und auch die Solidarität aller Frauen miteinander gefördert werden konnte. Und weil die Dienste dieser NGO insgesamt gut ankommen und viel Publizität erhalten, steigt Pérez zum Inbegriff der Mildtätigkeit auf und wird zu einer nationalen Ikone.
Und trotzdem gibt es für Emilia auch jetzt noch genügend Gründe, um auszurasten, zum Beispiel glühende Eifersucht. Ihre Ehefrau/Witwe hat einen Liebhaber, der Emilia derart zuwider ist, dass aus der latenten Befähigung zum Mord wieder eine manifeste wird. Und immer noch werden unvermittelte oder kommentierende Sing- und Tanzstücke in die Szenen eingestreut.
Audiard ist nicht nur der Filmemacher der Ambivalenz faszinierender Gewalttätigkeit, sein Thema ist auch die Maskulinität, die Bedrohungen und der Niedergang des Männlichen. Viel näher als in »Emilia Pérez« wird er einem »Frauenfilm« nicht kommen.
»Emilia Pérez«, Regie: Jacques Audiard, Frankreich/Belgien 2024, 132 Min., Kinostart: heute
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