Russland erhöht den Druck
Von Lars LangeIn der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag haben russische Kräfte erneut einen verheerenden Raketenschlag gegen die kritische Energieinfrastruktur der Ukraine verübt. Nach Angaben aus Kiew sind insgesamt 101 Raketen und Marschflugkörper abgeschossen worden. Darüber hinaus gab die ukrainische Luftwaffe den Angriff von 97 russischen Drohnen der »Shahed«-Familie an. Erst am Vortrag war mit 188 »Shahed«-Drohnen ein neuer Rekord erreicht worden.
Mit dem Raketenangriff ist es der russischen Führung offenbar gelungen, weitere Teile der ukrainischen Stromversorgung auszuschalten. Angriffe gab es laut Ukraine 24/7 in der Region Kiew, Charkiw, Sumi, Winnizja, Odessa, Rivne, Wolin, Mikolajiw und Lwiw. In Rivne sollen nach den Angriffen mehr als 280.000 Menschen in der Region ohne Strom sein. Außerdem gebe es dort Probleme mit der Wasserversorgung. Der ukrainische Energieminister German Galuschtschenko sagte, Russland habe einen »massiven Schlag« gegen das Stromnetz des Landes geführt. Ukrenergo, der staatliche Netzbetreiber, kündigte Notstromausfälle in mehreren Regionen an, um das Energiesystem vor dem russischen Angriff zu schützen.
Russland hat in den vergangenen zwei Monaten deutlich weniger Raketen eingesetzt als in den Monaten davor. Offensichtlich geschah dies, um kurz vor der beginnenden Heizperiode die strategische Luftkampagne gegen die Energieinfrastruktur der Ukraine intensivieren zu können und so die Reparatur deutlich zu erschweren. Schon jetzt ist absehbar, dass der Monat November einen neuen Höchststand an Drohneneinsätzen gegen die Ukraine gesehen haben wird.
Der heftige Raketenangriff kann als Antwort auf Atacms-Angriffe gesehen werden, die in den vorangegangenen drei Tagen durch die Ukraine mit den westlichen Kurzstreckenwaffen auf Einrichtungen in der Region Kursk durchgeführt worden waren. Bei einem Treffen der Sicherheitsallianz ehemaliger Sowjetstaaten in Kasachstan präzisierte der russische Präsident Wladimir Putin am Donnerstag mögliche Vergeltungsschläge. Als Reaktion auf die Angriffe mit westlichen Raketen auf russisches Territorium könne man die Führung in Kiew direkt angreifen. Dazu seien auch weitere Angriffe mit der in der vorigen Woche erstmals eingesetzten neuen Hyperschallmittelstreckenrakete »Oreschnik« möglich. »Derzeit wählen das Verteidigungsministerium und der Generalstab Ziele auf ukrainischem Gebiet aus. Dazu könnten militärische Einrichtungen, Rüstungs- und Industrieunternehmen oder Entscheidungszentren in Kiew gehören«, so der Präsident. Bisher haben russische Angriffe keine Regierungsgebäude in der ukrainischen Hauptstadt getroffen.
Auch die Situation auf dem Boden entwickelt sich zunehmend schwieriger für die Ukraine. Zwar gelang es ukrainischen Kräften in Kupjansk, die russischen Spitzen vollständig aus der Stadt zu entfernen. Möglich wurde dies durch Zuführung von Reserven. An allen anderen Frontabschnitten rücken die russischen Streitkräfte jedoch weiter vor. Signifikant ist hier besonders die Situation in der Stadt Kurachowe, die Russland etwa zur Hälfte bereits erobern konnte. Hier führt nur noch eine einzige befestigte Straße in die Stadt hinein, die sich auch noch in der Reichweite von russischer Artillerie und FPV-Drohnen befindet. Bei ukrainischen Nachschublieferungen und Truppenumschichtungen ist unter diesen Umständen mit schweren Verlusten zu rechnen.
Vor dem Hintergrund der wankenden Front sucht die ukrainische Regierung verzweifelt nach Unterstützung. Verteidigungsminister Rustem Umerow bemüht sich derzeit in Südkorea um Waffenlieferungen, während die US-Regierung ein Waffenpaket im Wert von 725 Millionen US-Dollar vorbereitet. Die geplanten Waffen wie Panzerabwehrwaffen, Landminen, Drohnen und »Stinger«-Raketen können jedoch die Personalkrise kaum lösen. Deshalb übt die scheidende US-Regierung laut einem Bericht der Financial Times aktuell Druck auf die Ukraine aus, das Mobilisierungsalter von derzeit 25 Jahren auf 18 Jahre abzusenken, um die vermutlich hohen Verluste der Ukraine an der Front zu kompensieren.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. November 2024 um 11:00 Uhr)Wie schon in den beiden vorangegangenen Kriegswintern versucht Russland erneut, die ukrainischen Städte vor dem nahenden Winter in Dunkelheit und Kälte zu stürzen, um den Widerstandsgeist der Bevölkerung zu brechen. Seit Langem kommt es in der Ukraine immer wieder zu Stromausfällen, da die Energieversorgung vielerorts nicht mehr zuverlässig aufrechterhalten werden kann. Jeder neue Angriff auf Kraftwerke und Umspannstationen verschärft die ohnehin angespannte Lage weiter. Am Donnerstagmorgen waren insbesondere westliche Regionen wie Lwiw und Riwne betroffen – Gebiete, die bislang weniger stark vom Kriegsgeschehen geprägt sind als die Frontnähe. Da sind jetzt auch mehrere Hunderttausend Menschen ohne Strom. Besonders beunruhigend ist die Schlagkraft der russischen Rüstungsindustrie: Nach aktuellen Berichten produziert Russland zehnmal so viele Raketen wie alle NATO-Staaten zusammen. Zudem habe die Serienproduktion der »Oreschnik«-Rakete begonnen, und für das kommende Jahr ist eine weitere Steigerung der militärischen Gesamtproduktion geplant. Russland präsentiert sich zunehmend als kampferprobte, hochgerüstete und neu organisierte Militärmaschinerie – eine gefährliche ernstzunehmende Bedrohung. Die Aussichten auf Frieden – sowohl für die Ukraine als auch für Europa – bleiben düster.
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