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Aus: Ausgabe vom 29.11.2024, Seite 15 / Feminismus
Frauenfeindlichkeit

Es gibt keine versehentliche Vergewaltigung

Frankreich: Prozess im Fall Gisèle Pelicot verdeutlicht Dringlichkeit von Konsens. Entsprechender Gesetzentwurf eingebracht
Von Ina Sembdner
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»Erektionsprobleme sind keine halbe Vergewaltigung«: Deutliche Kritik an den Aussagen eines Angeklagten vor dem Gericht in Avignon (25.11.2024)

Der sogenannte Avignon-Prozess hat in Frankreich einiges ins Rollen gebracht: Am Donnerstag stand in der Nationalversammlung im Rahmen des Initiativtags ein parteiübergreifender Gesetzesvorschlag auf der Tagesordnung. Er sieht vor, das französische Strafrecht bei Vergewaltigung um das Konzept Zustimmung zu erweitern. Bislang gilt: Ein Täter muss Gewalt oder Zwang angewendet oder damit gedroht haben, um ihn wegen Vergewaltigung zu verurteilen. Im zuständigen Ausschuss war Initiatorin Sarah Legrain von der linken La France insoumise vergangene Woche noch gescheitert – nun versucht sie es gemeinsam mit der Abgeordneten Véronique Riotton von der Präsidentenpartei Renaissance und Marie-Charlotte Garin von der Umweltpartei Les Écologistes. Le Monde frotzelte jedoch, dass damit »die Arbeit der seit einem Jahr laufenden parlamentarischen Informationsmission zur strafrechtlichen Definition von Vergewaltigung« durchkreuzt werde. Sie soll ihre Ergebnisse im Dezember präsentieren.

Genau dieser fehlende Konsenspassus – in Europa einzig in Schweden und Spanien unter »Nur ja heißt ja« gesetzlich verankert – ist zentral im Verfahren von Gisèle Pelicot gegen ihren Exmann und bislang 50 weitere Männer, die sie über einen Zeitraum von zehn Jahren vergewaltigten, nachdem sie von Dominique Pelicot betäubt worden war. Die von ihm hinzu bestellten Männer, die er über einen Onlinechat mit dem Namen »Ohne ihr/sein Wissen« kennengelernt hatte, gaben im Prozess reihenweise zu Protokoll, nicht gewusst zu haben, dass Gisèle Pelicot nicht ihre Zustimmung gegeben hatte. In den Aussagen findet sich sowohl die des jüngsten Nebenangeklagten, der mit Anfang 20 nicht gewusst habe, was Konsens sei – das habe er erst im Gefängnis gelernt –, als auch die Aussage, dass geglaubt wurde, es habe sich um ein Spiel gehandelt.

In dieser Woche endeten die Plädoyers im Verfahren gegen den Hauptangeklagten. Und auch seine Verteidigerin Béatrice Zavarro zeigte Verständnis für die Maximalforderung der Staatsanwaltschaft von 20 Jahren Haft für den 72jährigen, der sich im Prozess schuldig bekannte und selbst erklärt hatte, dass er eine harte Strafe verdient hat. Staatsanwältin Laure Chabaud wies in ihrem Schlussplädoyer die Argumentation vieler Angeklagter zurück, sie hätten »nicht die Absicht gehabt«, Pelicots Frau Gisèle zu vergewaltigen. Dies sei nur ein Versuch, »sich ihrer Verantwortung zu entziehen«. Das Urteil solle deutlich machen, »dass es keine normale, versehentliche oder unfreiwillige Vergewaltigung gibt«, betonte Chabaud.

Zavarro hatte zuvor versucht, ein Bild des Angeklagten zu zeichnen, das ihn als Opfer seiner Lebensumstände darstellt: sein tyrannischer Vater, frühe Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt. »Ist Dominique Pelicot nicht sein eigener schlimmster Feind?« fragte sie in ihrem etwa einstündigen Plädoyer. Er sei »ein guter Vater und Großvater« gewesen und habe seine Frau »mehr als alles andere geliebt«. Der Umzug des Paares in den Süden und ihre Weigerung, seine sexuellen Phantasien mit ihm auszuleben, seien Auslöser für »seine kriminellen Pläne« gewesen. Eine Argumentation, die auch bei Femiziden noch immer hervorgekramt wird und letztlich die Verantwortung für Gewalt und Tod bei den Betroffenen verortet.

Für einen einzigen Angeklagten forderte die Staatsanwaltschaft lediglich vier Jahre Haft wegen sexueller Nötigung. Wegen einer Erektionsstörung war es nicht zu einer Vergewaltigung gekommen. Für die übrigen Angeklagten neben Dominique Pelicot im Alter von 26 bis 74 Jahren forderte sie zwischen zehn und 18 Jahre Haft. 33 von ihnen wollten als nicht zurechnungsfähig anerkannt werden. Dafür hatte Staatsanwältin Chabaud nur Spott übrig und bezeichnete es als »medizinischen und juristischen Unsinn«. Sie betonte: »Im Jahr 2024 kann niemand mehr sagen: ›Sie hat nichts gesagt, also war sie einverstanden‹.« So lange das jedoch nicht strafrechtlich relevant ist, wird dieser Prozess eine Ausnahme bleiben. Denn ohne akribisch gesammelte Aufzeichnungen der Vergewaltigungen wie in diesem Fall durch Dominique Pelicot geschehen, werden Betroffene in Frankreich nach wie vor in die Pflicht genommen, nachzuweisen, dass Gewalt oder Zwang angewendet oder damit gedroht wurde, um eine Verurteilung wegen Vergewaltigung zu erreichen.

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